
Veröffentlicht am 16.11.2023
Fit Chicks, CrossFit und Realität
Krafttraining ist super. Für alles. Punkt. Wenn CrossFit auch nur eine tolle Sache erreicht hat, egal ob du CrossFit nun gut findest oder nicht, ist es, dass mehr Frauen sich ans Eisen trauen. Dass mehr Frauen sich trauen, etwas Neues zu probieren, das Potenzial ihres Körpers auszuloten und regelmäßig ihre eigenen Grenzen zu verschieben. CrossFit bzw. Kraftsport allgemein sind sicher nicht für jedermann oder jede Frau. Muss ja auch gar nicht. Aber es ist schade, wenn Menschen etwas nur wegen alter fixer Ideen ablehnen, z. B. wegen ihres Geschlechts und damit verbundener Erwartungen. Danke CrossFit!
Gleichzeitig besteht immer die Gefahr einer Gehirnwäsche, die die Alte ersetzt – oft bedingt durch jede Menge Marketing. In den 80ern und 90ern dachte jeder Typ, er würde zum nächsten Schwarzenegger, wenn er brav Papa Weider’s Eiweißshakes in sich reinkippt und den Trainingsplan aus der FLEX nachmacht. Heute glauben viele, ein paar Monate Training, ein Shirt mit einem süßen CrossFit-Slogan und die passenden bunten NewBalance-Schühchen würden aus ihnen eine bärenstarke Athletin machen. Die auch so aussieht.
In diesem übersetzten Gastbeitrag von Alexander Juan Antonio Cortes für EliteFTS geht es nicht nur um Frauen. Es geht vor allem nicht gegen Frauen. Es geht nicht um Entmutigung. Es geht mehr darum, enttäuschte (weil falsche) Erwartungen zu vermeiden. Und es geht allgemein um den Stellenwert, den das Body Image als Trainingsmotivation haben sollte.
Du bist ein Fit Chick, wärst gerne eins, kennst eins, datest eins, fragst dich, was zur Hölle ein „Fit Chick“ ist – oder du weißt einfach nicht, was du Besseres mit deinen nächsten sieben Minuten anfangen sollst? Dann lies doch einfach weiter.
Artikel im Original von Alexander Juan Antonio Cortes
„Über die letzten paar Jahre wurde das ‚fit chick‘ Image zu einem kulturellen Phänomen. Während es sicherlich viele positive Aspekte gibt, sind auch negative Begleiterscheinungen nicht zu leugnen – allen voran die fälschliche Annahme, dass jede wie ein Fitness Model oder eine erfolgreiche Athletin aussehen könne, einfach indem man ein paar Monate mit einem schlecht kopierten Trainingsplan ins Gym geht und sich dabei an eine ‚Diät‘ hält. Im Ernst? Das ist nicht ansatzweise wahr. Wie hält sich dieser Mythos?
Müsste ich eine kurze Geschichte nachzeichnen, würde ich dieses Phänomen auf zwei Dinge zurückführen: Bikini-Wettbewerbe und CrossFit. […] CrossFit hat das Bild der vergleichsweise muskulösen und sehr athletischen Frau stark popularisiert. In der Folge streben mehr und mehr Frauen überall nun nach diesem „Look“. Was braucht man als Frau wirklich dafür?
Extreme statt Ausgewogenheit
Um wie ein Fitness Model oder eine CrossFit-Athletin auszusehen, wird ein „ausgewogener“ Ansatz niemals funktionieren. Das Marketing, das überall „12 Wochen Transformationen“ anbietet, oder der Irrglaube, dass das Kopieren des Trainingsplans einer erfolgreichen Athletin zum Erfolg führt – alles Bullshit! All dies wird vorzugsweise an Frauen verkauft, die null Erfahrung mit ernsthaftem Training oder Sporternährung haben.
Gleichzeitig herrscht die Erwartung, dass eine Verwandlung in eine athletische Maschine allein dadurch stattfindet, dass du regelmäßig zu einer CrossFit-Box marschierst und dort ein paar Monate das WOD absolvierst. Um es ganz direkt zu sagen: Die Vermarktung des Glaubens, dass „jeder es schaffen kann“, ist eine ganz freche Lüge. Vielleicht haben alle Menschen das Potenzial – aber die großen Mühen und die notwendige Zeit werden deine Erwartungen ganz schnell auf den Boden der Tatsachen zurückholen.
Die Realität
Bevor ich irgendetwas über das Training sage, möchte ich einen entscheidenden Punkt zum Thema weibliche Körperzusammensetzung machen. Es ist eine biologische Tatsache, dass der durchschnittliche Körperfettanteil einer Frau doppelt so hoch ist wie bei Männern. Zehn bis 15 Prozent Körperfett bei einem Mann entsprechen 20 bis 30 Prozent bei einer Frau. Also sind 20 Prozent bei einer Frau vergleichbar mit zehn Prozent bei einem Mann. Bei Männern gelten zehn Prozent als relativ definiert und athletisch. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau ganz „natürlicherweise“ mit einem Körperfettanteil unter 20 Prozent und sichtbaren Bauchmuskeln herumläuft, ist äußerst gering – wir reden über genetische Ausnahmen. Der Punkt ist, dass ein sehr magerer Körperfettanteil und sichtbare Bauchmuskulatur keine „natürliche“ Körperzusammensetzung bedeuten, weder bei Männern noch bei Frauen.
Was braucht man, um dahin zu kommen? Die Erfordernisse sind eigentlich so ziemlich dieselben für Frauen und Männer:
- Krafttraining zwischen vier und sieben Einheiten je Woche, mit dem Fokus auf schwere Grundübungen und Hypertrophie (also trainieren wie ein ernsthafter Kraftsportler)
- Regelmäßige Cardioeinheiten, und erfahrungsgemäß brauchen Frauen mehr Cardio Training als Männer […]
- Strenge Ernährung inkl. Kontrolle der aufgenommenen Kalorien und orientiert an der Leistungsfähigkeit im Training (also eine fast immer sehr „cleane“ Ernährung)
- Schlaf, Erholung und Stressmanagement, um mit dem fast täglichen Training klarzukommen (für die meisten Menschen ist dieser „Look“ ein Vollzeitjob bzw. Hobby)
- Regelmäßiges und beständiges Training über Jahre, nicht Monate (normalerweise Jahre am Stück)
Frauen können Muskeln genauso gut aufbauen wie Männer, aber die Ausgangsposition ist meist schwieriger. Frauen haben oft aufzuholen, und überhaupt erstmal gleichzuziehen, erfordert Zeit.
Wir haben also jede Menge Training, jede Menge Erholungszeit und jede Menge gesunde Ernährung – und das alles braucht jede Menge Zeit. Bitte lies das noch ein paar Mal, sodass die Botschaft ankommt: Es braucht Zeit, um so auszusehen! Dieser Körper, dieser „Look“ ist ein Langzeit-Projekt. Es ist keine Verwandlung. Es ist kein einzelnes Trainingsprogramm. Es ist keine einmalige Diät, die du sechs Wochen durchhältst und dann – voilà – Bauchmuskeln und einen straffen Hintern für immer.
Der falsche Gott des Aussehens
Das ist der Punkt, der mich persönlich mehr erschüttert als jeder andere: die falsche Verehrung des „Looks“, des Aussehens – und nichts weiter. Fitness ist für viele rein kosmetisch. Menschen wollen heiß aussehen. Sie wollen nackt gut aussehen – und wer körperliches Aussehen und Selbstbewusstsein voneinander trennen will, macht sich etwas vor. Ich wäre ein Lügner, wenn ich behaupten würde, dass ein attraktiver Körper keinen Ego-Boost gibt. Nichtsdestotrotz, wenn Training allein dem Zweck dient, einen „Look“ zu erzielen, jagst du mit dem Wind hinterher. Der Körper ist nicht dauerhaft in seiner äußerlichen Erscheinung. Er wird sich im Laufe deines Lebens verändern, auf- und abgebaut.
Du kannst das athletischste Fit Chick im Raum sein – aber es wird immer jemand besser aussehen als du. Wenn dein Selbstwert ausschließlich aus deinem körperlichen Erscheinungsbild resultiert, wirst du als erbärmlich schwacher Mensch enden, egal wie stark du nach außen wirkst. Das gilt natürlich auch für Männer. Dein Training kann sicher mit dem Antrieb beginnen, „heiß auszusehen“. Aber wenn das alles ist, worum es je für dich geht, versichere ich dir, dass diese Brücke nirgendwohin führt.
Training muss mehr bedeuten als dein Spiegelbild.
Viele Individuen im Bodybuilding-Bereich haben ihr Leben auf ihr Aussehen aufgebaut und dabei alle anderen Aspekte der persönlichen Weiterentwicklung ignoriert. Wenn ihre Karrieren enden, bleiben sie als sterbende Körper und leere Gefäße zurück, in denen innerlich nie etwas gewachsen ist. Ihre Leben sind deprimierend.
Erwartungen und die Realität
Die Realität ist die Geißel von Idealismus und Erwartungen. Schlussendlich ist es unrealistisch, ein extremes Resultat durch eine mittelmäßige Anstrengung zu erwarten. Wie ein Fitness Model oder eine CrossFit-Athletin auszusehen, erfordert Arbeit, Disziplin und Zeit. Ob es für dich noch mehr bedeutet, als nur heiß auszusehen, musst du selbst entscheiden. Wähle mit Bedacht.
Artikel im Original von Alexander Juan Antonio Cortes