Warum können Proteinpulver sinnvoll sein?
Proteinpulver sind ein ständiges Thema in der Fitness- und Ernährungswelt. Letztens habe ich Dir bereits einen fundamentalen Artikel zum Thema geliefert. Heute möchte ich Dir noch ein wenig mehr die Vorteile, Nachteile und Anwendungsgebiete beleuchten, OHNE Dir ein Produkt aufdrängen zu wollen oder gar eine klare „Must-Have“-Kaufempfehlung auszusprechen. Warum und wann Proteinpulver sinnvoll sein können und welche Pulver dein Geld wirklich wert sind, erfährst Du im heutigen Artikel!
Proteinpulver können sehr einhellig aber auch sehr kontrovers diskutiert werden
Einhellig? Schon interessant eigentlich. Es ist nur einige Jahrzehnte her, da existierten Proteinpulver überhaupt nicht. Übrigens schafften es Menschen trotzdem, stark und muskulös zu werden. Heute jedoch bekommt man fast schon den Eindruck, man sollte lieber gar keine Gewichte anfassen, ja gar nicht erst Sport treiben, solange man nicht gleichzeitig ein Protein Supplement einnimmt. Im Studio laufen aufgepumpte Typen zwischen ihren Sätzen rum und nippen an Shake Bechern. Manche Studios bieten gar eine Shake Flat an. Und fragt ein Kraftsportneuling irgendwo online (oder im Studio um die Ecke) nach der Notwendigkeit von Supplements, gehen die Antworten zu 99% in diese Richtung:
“Supplemente X,Y,Z sind optional, aber Whey (Protein) ist ein absolutes Muss.”
Ein absolutes MUSS! Und jetzt geh sofort nen Eimer von dem Zeug kaufen, du Wurm! Wie kannst du es wagen…!?
Vielleicht ist es jedoch nicht ganz so einfach.
Aber von vorne. Was ist Protein überhaupt? Das Wort Protein kommt vom altgriechischen proteno. Heißt soviel wie: Das Erste. Nicht zu verwechseln mit dem durch völlig freiwillige Gebühren finanzierten, hochklassigen Fernsehprogramm (Hallo, liebe GEZ). Proteine sind aus Aminosäuren bestehende Moleküle. Sie werden oftmals als Bausteine des Lebens bezeichnet, da sie in jeder Zelle zu finden sind (Muskelfasern sind Zellen). Diese Bausteine unterliegen permanentem “Verschleiß” und Ersatz.
Das lässt uns eine für alle Kraftsportler relevante Folgerung ableiten
Wenn nach einem Training geschädigte Struktureiweiße (Proteine nehmen eine bestimmte, in der DNA vorgegebene, dreidimensionale Struktur ein) der betroffenen Muskeln repariert werden müssen, ist es wichtig, dass in ausreichender Zahl über die Nahrung aufgenommene Proteine (bzw. deren Bausteine Aminosäuren) zur Verfügung stehen. Nur so kann eine Reparatur der beschädigten Muskelfasern/-zellen geschehen, und sich im Idealfall – als Schutz vor künftigen Belastungen – ein Überschuss an funktionalem Muskeleiweiß bilden. Dann haben wir Muskelwachstum.
Somit wundert es also nicht, dass Proteine insbesondere aus Sicht der Sporternährung ein wichtiges Thema sind. Aber auch für Nichtsportler gilt: Zu jeder Tageszeit findet gleichzeitig der Auf- und Abbau von Proteinen statt. Fancy gesagt: Anabolismus und Katabolismus, die wie Yin und Yang nebeneinander existieren und sich komplettieren.
Zwischenfazit: Proteine sind sehr wichtig, und für Sportler vermutlich noch ein bisschen wichtiger. Als Kraftsportler interessiert uns vor allem der Anabolismus, der aufbauende Prozess. Dafür müssen wir, über die Nahrung, das notwendige Protein bereitstellen.
Wir haben aber bereits festgestellt, dass Proteine aus Aminosäuren bestehen. Leider kommen in den verschiedenen Lebensmitteln nicht alle Aminosäuren gleich häufig vor. Auch die neun essenziellen (weil der Körper sie nicht selber herstellen kann) Aminosäuren kommen nicht in allen Lebensmitteln vor. Deshalb gibt es verschiedene Systeme, die Bioverfügbarkeit bzw. die Qualität von Eiweißen zu beurteilen. In Europa am gebräuchlichsten ist die Biologische Wertigkeit. Willkürlich wurde dabei Vollei (Eiklar + Eigelb) als 100 festgelegt. Über Experimente hat man verschiedene Lebensmittelkombinationen getestet. Die bis heute höchste bekannte Biologische Wertigkeit erhält man über die Kombination Vollei & Kartoffeln. Bevor du in die Küche rennst, weil dir dieser Protein-Porno den Mund ganz wässrig macht: Um auf diesen höchsten Wert (136) zu kommen, brauchst du 600g Kartoffeln mit einem Hühnerei. Wohl bekommts!
Die höchste Biologische Verfügbarkeit entfällt also nicht auf die typischerweise in Supplements eingesetzten Proteinquellen
Die da wären: Molke, Soja, Reis, Erbsen und Ei.
An dieser Stelle möchte ich dir nicht vorenthalten, dass es reichlich Kritik an der Biologischen Wertigkeit als Maßstab gibt. Der größte Kritikpunkt ist die Tatsache, dass die Wertigkeit unter den Rahmenbedingungen einer Proteinunterversorgung gemessen wird. Jedoch hängt die Biologische Wertigkeit untrennbar mit der verfügbaren Menge an Proteinen zusammen. Bei einer normalen Erhaltungsversorgung, oder gar einer sportspezifischen, sehr eiweißreichen Kost sinkt also die Biologische Wertigkeit des betrachteten Lebensmittels. Jedoch sind die alternativen Methoden PER (Protein Efficiency Ratio) und Protein Digestibility Corrected Amino Acid Score (PDCAAS) ihrerseits auch nicht ohne methodische Probleme.
Festzuhalten bleibt, dass es nicht zu belegen ist, dass die typischen für Proteinpulver herangezogenen Proteinquellen qualitativ irgendeine Überlegenheit gegenüber handelsüblichen eiweißreichen Nahrungsmitteln besitzen.
Hersteller insbesondere von Whey- (also Molke-) Proteinen führen zwar gerne Studien über deren hohe Absorptionsgeschwindigkeit in den Blutstrom an (welche nebenbei auch an unterversorgten Testsubjekten gemessen wurde). Kritiker bemerken hierbei jedoch, dass dies auch zu einer schnellen Gluconeogenese, also einer Umwandlung der Proteine in Kohlenhydrate in der Leber führe, und daher das zunächst absorbierte Protein nicht einen im gleichen Maße verbesserten Proteinhaushalt zur Folge hat. Okay, kurz durchatmen, genug biochemischer Schnickschnack.
Was an dieser Stelle einfach mal gesagt werden muss
Eine wissenschaftliche Studie alleine belegt noch keine Fakten, auch wenn die einschlägige Presse, Tageszeitungen oder oberschlaue Zeitgenossen im Bekanntenkreis (oder dem weltweiten Netz) gerne so tun. Studien beinhalten viele mögliche Fehlerquellen. Wissenschaftler sind auch nur Menschen. Menschen machen Fehler. Oder haben bestimmte Motivationen (Geld soll ganz gut ankommen, hab ich gehört), ein bestimmtes Studienergebnis zu erreichen. Oftmals gibt es weitere Studien, von anderen (auch nicht perfekten) Wissenschaftlern, die das genaue Gegenteil behaupten. Also immer kritisch bleiben, und die Dinge hinterfragen.
Worauf wollte ich jetzt mit all diesem Geschwafel hinaus?
Proteinpulver bieten keinen qualitativen Vorteil gegenüber natürlichen Lebensmitteln per se
Du kaufst keinen magischen Feenstaub in Dosen, der dich über Nacht zum unglaublichen Hulk macht. Egal, was der Hersteller auf das bunte Etikett druckt (auf dieser Seite demnächst: Ein Best Of der abgedrehtesten Supplementhersteller-Versprechungen!). Egal welcher Profi Bodybuilder dich im Webshop angrinst und dir dabei seinen dehydrierten, schuhcremebeschmierten Adoniskörper präsentiert. Not. Gonna. Happen.
Das heißt, wenn wir Proteinpulver kaufen, sollte die Motivation eine andere sein, als die Erwartung, ein Wundermittel zu bekommen, das harte Arbeit und gute Ernährung ersetzt.
Die zwei meiner Meinung nach legitimen Motivatoren sind: Preisleistungsverhältnis (wie viel Geld muss ich für 1g Protein ausgeben gegenüber vergleichbaren Lebensmitteln?). Und Bequemlichkeit, bzw. Praktikabilität.
Weitere Informationen:
Buch: Löffelholz, Christian 2009: Ernährungsstrategien in Kraftsport & Bodybuilding, Novagenics
http://www.fao.org/docrep/MEETING/004/M2835E/M2835E00.HTM
http://jn.nutrition.org/content/127/5/758.long
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