Paleo – ein kurzer Überblick

Paleo ist definitiv ein großes Thema geworden. 2013 war Paleo die am meisten ge-googelte Ernährungsform. In der amerikanischen Fitness Szene, wo Paleo (auch nicht zuletzt dank Crossfit) schnell viele Anhänger fand, häuften sich letztes Jahr aber auch deutlich kritische Artikel zum Thema.

Erste Berührungspunkte mit Paleo gab es für mich 2008/2009, als ein fitnessfanatischer Kumpel mir von einer website namens marksdailyapple.com und der Paleo Ernährung erzählte. Die Paleo Police stellt jetzt natürlich sofort fest: „Das ist ja gar nicht Paleo. Das ist Primal.“ Ähhhh… Okay. Whatever.

Wirklich konsequent umgesetzt habe ich die diese Ernährung selber seit Anfang 2012. Würde ich diesen Post aus der damaligen Sicht verfassen, wäre das hier vermutlich ein vor Überzeugung brennendes Manifest. Damals war ich sozusagen „frisch verliebt“. Irgendwann wurden dann aber auch die Macken der Angehimmelten (Ernährungsform) offensichtlicher. Wir bewegten uns teilweise in verschiedene Richtungen. Heute würde ich sagen: „Es ist kompliziert…“.

Was zur Hölle ist Paleo?

Die Vertreter operieren ausgehend von der These, dass die gesundheitliche Auswirkung einer Ernährungsweise bzw. bestimmter Nahrungsmittel abhängig ist von dem Maße, in dem unser Organismus sich evolutionär daran anpassen konnte. Zu diesem Zwecke wird eine Trennung vollzogen zwischen „paleolithischen“ und „neolithischen“ Lebensmitteln. Als neolithisch werden dabei im wesentlichen all jene Dinge bezeichnet, die wir erst seit der landwirtschaftlichen Revolution zu uns nehmen. Wie z.B. Getreide- oder Milcherzeugnisse. Die Trennlinie verläuft also vor etwa grob 10.000 Jahren.

Eine weitere wichtige Bedingung für den Paleo Esser ist die Ursprünglichkeit eines Lebensmittels. Beliebt ist dabei das Leitmotto, es werde nur gegessen, was unsere höhlenbewohnenden Vorfahren auch als Nahrung erkannt hätten.

Was essen denn nun diese Leute? Im wesentlichen:

• Fleisch

• Fisch

• Eier

• Obst

• Gemüse

• Nüsse und Samen

Es gibt nicht DIE EINE Paleo Ernährung

Der eine oder andere zieht bei der Liste vermutlich schon die Augenbrauen hoch. Richtige Hardcore Paleo Jünger werden aber noch schnell ergänzen, dass auch Nachtschattengewächse zu meiden sind, das man sich in Sachen Obst doch besser nur auf Beeren beschränkt, und man außerdem vorsichtig mit Nüssen wie Mandeln hantieren sollte, um nicht sein Omega 6 : Omega 3 Verhältnis aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Und „Primal“?

Ich persönlich halte von der begrifflichen Abgrenzung Paleo vs. Primal nicht so viel, da Paleo prinzipbedingt ein recht beliebiges Konzept ist – keiner von uns weiß nämlich wirklich genau, was unsere Vorfahren den lieben langen Tag gemampft haben. Und alle Lebensmittel, die wir heute so verzehren, haben sich seitdem evolutionär (bzw. durch Züchtung) verändert, genau wie wir.

Primal bezeichnet letztlich die Bastardisierung der reinen Paleo Lehre, indem zusätzlich Dinge wie (Süß-)Kartoffeln, manche Milchprodukte (oftmals Butter und Sahne) oder pflanzliche Öle (wie Olivenöl oder Leinöl) verzehrt werden. Außerdem ist man hier offener für weitere Verarbeitungsstufen von Lebensmitteln, wie etwa Proteinpulver.

Wenn Paleo Anhänger auf Primal Vertreter stoßen, kann es schon durchaus bis aufs Messer geführte Diskussionen darüber geben, ob der Verzehr einer Kartoffel direkt ins Fegefeuer führt, oder doch toleriert werden kann. Danke, Internet.

Ich mag Paleo

Oder Primal. Wie auch immer. Egal, ob du dir aktuelle Zahlen zu Zivilisationskrankheiten ansiehst, oder dich einfach mal beim Bummel durch die Stadt umsiehst und dir deine Mitmenschen anschaust: Es ist offensichtlich, dass irgendwas an unserem Lebenswandel nicht gerade wunderbar in Einklang mit unserem evolutionären Erbe steht. Der Schluss liegt nahe, dass Ernährung eine Rolle dabei spielt.

Ich mag das Konzept hinter Paleo ungemein. Paleo zwingt zur gedanklichen Auseinandersetzung. Menschen beschäftigen sich plötzlich mit der Herstellung ihrer Nahrung, und mit deren Herkunft. Sie entwickeln ein Bewusstsein dafür, dass es eventuell sinnvoll sein könnte, regionale Erzeuger zu unterstützen und saisonale Produkte zu kaufen. Dass Pestizide vielleicht nicht so unbedenklich sind. Paleo Esser sind häufiger bereit, Geld in hochwertige Lebensmittel zu investieren. Sie unterstützen Modelle solidarischer Landwirtschaft. Sie interessieren sich oftmals für Biodiversität, Nachhaltigkeit und sehen ein Problem darin, dass große Teile der „Produktionsketten“ unserer Lebensmittel von wenigen multinationalen Riesenkonzernen beherrscht werden. Sie schauen kritisch auf unser Nahrungssystem und haben daher oftmals ein Problem mit Massentierhaltung. Sie schaffen Nachfrage für Tiere aus natürlicher Aufzucht, ohne Medikamenteneinsatz und fragwürdige Futtermittel. Und tragen zur Erhaltung alter Rassen bei. Insgesamt also viel positives Potenzial für Mensch, Tier und Umwelt.

Sind diese Vorteile paleo-exklusiv, oder auf die Steinzeit Argumentation angewiesen? Eher nicht. Die Botschaft könnte auch „JERF“ heißen. Just Eat Real Food. Slowfood hat im Prinzip das gleiche Anliegen. Oder Organisationen wie die Weston A. Price Foundation. Das grundlegende Konzept ist nichts neues. Und ich wünschte mir, dass Paleo Anhänger manchmal mehr auf die Gemeinsamkeiten schauen würden, statt sich daran aufzuhängen, ob jemand Haferflocken isst, oder nicht.

Machen wir uns nichts vor. Paleo hat ein Eigenleben jenseits des Grundkonzepts entwickelt. Paleo ist so erfolgreich, weil die ganze Höhlenmenschen-Nummer nicht nur auf simple Weise einleuchtend ist, sondern auch emotional zieht und sich gut verkaufen lässt.

Dabei ist das tolle am Konzept teilweise auf der Strecke geblieben. Paleo Vitamintabletten. Paleo Tiefkühlgerichte. Bacon morgens, mittags und abends. Ist ja Paleo.

Paleo ist ein Kult

Wer sich noch nicht selber durch entsprechende Online Foren oder Facebook Gruppen gelesen oder mit militanten Paleo Vertretern unterhalten hat, kann das vielleicht nicht ganz nachvollziehen. Aber Paleo Jünger können schlimmer sein als jeder Scientologe. Da rasten erwachsene Leute aus, weil auf einem Bild, das jemand von seinem Frühstückstisch posted eine Scheibe Brot zu sehen ist.

Viele werden mit einer Handvoll übermäßig vereinfachter Regeln „indoktriniert“ und folgen diesen Regeln blind. Die eigentlichen Ziele und die Frage nach gesunder Ernährung bleiben dabei oftmals auf der Strecke. Das treibt dann Blüten wie „Milch ist böse“, „Kohlenhydrate machen fett“ oder „Getreide ist der Teufel“. Und viele kolportieren diese „Grundsätze“ im Stille-Post-Verfahren, ohne auch nur den blassesten Schimmer zu haben, wie unser Körper mit Nährstoffen interagiert und inwieweit diese Behauptungen wissenschaftlich gesichert sind.

Die positiven Effekte sind nicht unbedingt Ergebnis von Paleo

Oftmals validieren dieselben Paleo-Faschisten ihre Behauptungen dann mit den eigenen positiven Erfahrungen, die sie mit der strikten Einhaltung des Konzepts gemacht haben. Und während ich mich für jeden freue, der mit Paleo seine Ziele erreicht, halte ich es für sehr unseriös, diese Zielerreichung einzig auf die Einhaltung einiger schwarz-weiß gehaltener Grundregeln zuückzuführen, deren Behauptungen der aktuellen Wissenschaft nicht standhalten können und zumindest einer Differenzierung bedürfen. Wenn jemand z.B. mit Paleo abnimmt, kann das eine ganze Bandbreite an Gründen haben und muss nicht zwingend bedeuten, dass „Getreide fett macht“. Noch dazu funktioniert für Person B nicht unbedingt das gleiche wie für Person A.

Korrelation ≠ Kausalität!

Ich kann es nicht oft genug betonen. Einer der häufigsten Denkfehler überhaupt, ist anzunehmen, dass ein Ursache-Wirkungs-Zusammenhang besteht, nur weil zwei Tatbestände zeitlich gemeinsam auftreten. Das erinnert mich an die (Rohkost)Veganer, die nach ihrer Radikalumstellung außer einer Menge Obst und Gemüse kaum noch was essen, gerade mal auf 1.600 kcal am Tag kommen, welch Wunder dabei ratzfatz abnehmen – und dann jedem, der es nicht hören will, erzählen, dass Fleisch (oder tierisches Fett) fett macht.

Fazit?

Meine Bilanz bezüglich Paleo bleibt auf alle Fälle positiv. Paleo ist ein Konzept mit vielen guten „Nebenwirkungen“. Hochgradig industriell verarbeitete Produkte fallen weg, ersatzweise steigt der Anteil an frischen unverarbeiteten Lebensmitteln, nicht zuletzt Obst und Gemüse. Viele konsumieren automatisch weniger Kalorien und erlangen dadurch eine ausgewogene Kalorienbilanz. Gleichzeitig erhalten sie mehr Mikronährstoffe und meist mehr Protein. Nährstoffe interagieren direkt mit unseren Zellen, bis hin zu unseren Genen. Und beeinflussen so auf direkte Weise (und im Falle von Paleo positiv) unsere Gesundheit und unser körperliches Erscheinungsbild.

Gleichzeitig geben die relativ einfachen Regeln große Handlungssicherheit und ein emotional greifbares Konzept. Die aktive Community bietet dazu ein gewisses „Social Support System“. Das wiederum erhöht die langfristige Compliance.

Dies sind alles gute Gründe, die für mich einerseits den relativen Siegeszug von Paleo erklären und gleichzeitig guter Grund, Paleo als „Ausgangskonzept“ bedenkenlos so ziemlich jedem empfehlen zu können, der sich besser ernähren will.

Warnen möchte ich lediglich davor, das Konzept blind und unhinterfragt in Religionsstatus zu erheben. Wenn ganze Makronährstoffe (Kohlenhydrate) verteufelt werden, oder einzelne Lebensmittel zu Giften erklärt werden, dann ist das für mich zum Teil näher an einer Essstörung als an einer Hilfestellung. Und das schreibe ich nicht zuletzt, weil ich selber kurzzeitig meinen Dienst in der militanten Paleo Polizei absolviert habe…

Schließlich ist Paleo auch ein Lifestyle

Paleo ist ein Ernährungskonzept, das wie kaum ein anderes weit über Ernährung hinausgeht. Denn einher mit der Erkenntnis, dass wir uns nicht so ernähren wie vor >10.000 Jahren geht die Einsicht, dass wir heute auch vieles andere tun oder nicht tun, das sich stark vom längsten Teil der Menschheitsgeschichte unterscheidet. Paleo Anhänger sind deswegen häufig bestrebt, sich mehr zu bewegen, sich mehr dem Sonnenlicht und anderen Witterungseinflüssen auszusetzen, Stress zu minimieren und mehr/besser zu schlafen.

All das ist letztlich auch das Ziel von Steinzeit Fitness, so dass ich nach wie vor, und trotz einer Abkühlung der „Liebesbeziehung“, eine sehr große Schnittmenge mit der Paleo Philosophie sehe. Weiter unten findest du noch ein paar weiterführende Links.

Weitere Ressourcen:

Buchempfehlungen – ich weise darauf hin, dass die genannten Bücher als Partner Link aufgeführt sind. Falls du eines davon erwirbst, bekomme ich ein paar Cent „Provision“. Ich nenne die beiden Bücher, weil sie mir aktuell von mehreren Büchern, die ich zum Thema gelesen habe, am besten gefallen und dich am ehesten weiterbringen.

Chris Kresser – Your Personal Paleo Diet

Nora Gedgauders – Primal Body, Primal Mind

Webseiten:

Civilized Caveman

Robb Wolf

Title photo courtesy of Chickens in the Trees (Creative Commons License)

Second photo by sbshine (CC BY 2.0 License)