Frühstück ist die (un)wichtigste Mahlzeit des Tages! Oder?

Oh, Frühstück. Heiliges Frühstück. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe. Oder so ähnlich.

Kürzlich verabredete ich mich mit einem Freund zum Frühstück. Um 09:00 Uhr. Nur, dass ich um die Zeit noch nichts esse. Nicht religiös, oder weil irgendjemand das irgendwo geschrieben hat. Sondern weil mein Körper zu dieser Zeit kein Verlangen nach fester Nahrung hat. Das macht mir nichts, mir reicht auch ne Tasse Tee zum guten Gespräch.

Mein Freund jedoch war, wie wohl viele andere potenzielle Frühstückskollegen, reichlich perplex. Zuerst verstand er mich nicht richtig. Er dachte ich wollte nur keine Brötchen. Und fragte nach Alternativen, die er mir kredenzen dürfe. Als er mich verstand, wirkte er irgendwo zwischen befremdet und verblüfft. Und der erste verbale Austausch am Tage des Frühstücks war natürlich die Frage, ob ich wirklich wirklich nichts frühstücken wolle. Ganz sicher? Echt jetzt?

Ich sage euch, die Bundesrepublik Deutschland ist der wahre „Breakfast Club“. Es ranken sich Mythen und Legenden um diese Mahlzeit. Hätte Franz Ferdinand Ende Juni 1914 doch nur etwas ausgiebiger gefrühstückt, vielleicht wäre alles anders gekommen…

Es geht hier eigentlich gar nicht so sehr um das Frühstück. Sondern um einen gewissen Essens-Faschismus, den man sexy Neudeutsch als „Nutrient Timing“ bezeichnen würde. Das wird dann meist in das schillernde Gewand der Wissenschaft gehüllt, um jeden Zweifel sofort im Keime zu ersticken, und das Gegenüber von der nur einen wahren Lehre zu überzeugen. Ungläubiger Ketzer!

So ergibt sich eine große Bandbreite an Ratschlägen, die sich mit dem Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme befasst:

„Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages, vor allem fürs Abnehmen!“

„Iss morgens wie ein Kaiser, mittags wie ein König, abends wie ein Bettler!“

„Wenn du abnehmen willst, keine Kohlenhydrate mehr nach 18:00 Uhr!“

Dann gibt es das andere Extrem, das sich oftmals irgendwo im Paleo Fahrwasser tummelt, aber sich zwischenzeitiges Fasten, oder kurz IF (= Intermittent Fasting) auf die Fahnen geschrieben hat:

„In 24h musst du mindestens 16h fasten!“

„Keine feste Nahrung vor 14 Uhr!“

„Iss alle deine Kohlenhydrate als Teil der größten Mahlzeit am Abend!“

Und dann gibt es noch die Sportler:

„Du musst deine Glykogendepots auffüllen, du brauchst einfache Carbs nach dem Workout/vor dem Workout/vor dem Schlafen/am Morgen!“

„Das anabole Fenster öffnet sich nur bis 45 min. nach dem Training, also sofort einen Proteinshake trinken, sobald die Hantel nach der letzten Wiederholung den Boden berührt!“

Oder einfach Mutti:

„Kind, du kannst doch nicht ohne Frühstück aus dem Haus!“

Und sie alle sind, einschließlich Mutti, bewaffnet mit irgendwelchen Studien, die ganz zweifelsfrei belegen, dass ihrer Aussage mindestens die gleiche allgemeingültige Kraft innewohnt, wie den auf Steintafeln festgehaltenen Geboten, die mal so ein Typ von nem Berg runtergetragen haben soll.

Bibelreferenzen sind ein guter Ansatzpunkt: Die Tatsache, dass all diese sich gegenseitig ausschließenden Aussagen absolute Wahrheit sein sollen, weil irgendwo irgendein Wissenschaftler mit drei Versuchspersonen eine „empirische“ Studie durchgeführt und hinterher seine (Wunsch-)Gedanken dazu aufs Papier gebracht hat, erscheint mir persönlich so logisch wie die Tatsache, dass zehn Religionen alle den einzig wahren Gott verehren. Was/welcher denn nun?

Wir finden: Es ist absolut fatal, sein Hirn auszuschalten, sobald im Zusammenhang mit irgendwelchen Ernährungs- oder Trainingstipps die Wörter „wissenschaftlich“, „Studie“, „neueste Erkenntnisse“, „Forschung“ oder ähnliche auftauchen. Und dabei ist es völlig unerheblich, ob die FAZ oder die Freizeitrevue deine bevorzugte Klolektüre ist.

Das Problem ist, dass die meiste tatsächlich durchgeführte Forschung den Kriterien guter Wissenschaft einfach nicht gerecht wird

In der Forschung geht es häufig um Geld, Arbeitsplätze, Ruhm und andere „niedere“ Beweggründe – nicht um die „Wahrheit“. Es geht um Veröffentlichungen. Reißerische, bahnbrechende Erkenntnisse, die einen Paradigmenwechsel erfordern, werden eher veröffentlicht als gemäßigte Ergebnisse, bei deren Erarbeitung sich penibel an die Grundsätze guter Wissenschaft gehalten wurde. Positive Studienergebnisse werden eher veröffentlicht als negative. Und das in der Wissenschaft, wo es doch primär um die Negation von Hypothesen gehen sollte! Manchmal ist es evident, dass eine Studie eklatante Mängel im Forschungsdesign aufweist. Und manchmal nicht.

Meine Aussagen beziehen sich auf gesundheitliche und sportwissenschaftliche Forschung. Aufsätze zur Quantenphysik les ich nicht, vielleicht wird da im Durchschnitt besser gearbeitet. Aber wenn jemand dir Ernährungsweisheiten oder Trainingsratschläge mit wissenschaftlichem Nachdruck aufschwatzen will – frag alternativ einfach deinen Hausmeister, der dürfte statistisch auch nicht öfter daneben liegen.

Und bezogen auf das liebe Frühstück? Das anabole Fenster? Die Kohlenhydrate vorm Schlafengehen?

Alles Kokolores. „Ey, du übertreibst doch!“ – Nö.

Nutrient Timing wird ca. seit 2000 vermehrt erforscht. Frühe Studien hatten oft grundsätzliche Schwachpunkte wie eine zu kurze Dauer, oder eine am wahren Leben vorbeigehende Operationalisierung der Variablen. Auf deutsch: Welchen Nutzen hat für uns Menschen die Feststellung, dass Ernährungszeitpunkt X für Nährstoff Y zu einem höheren Stickstoffhaushalt führt, ohne auch nur den Hauch einer Aussage über tatsächliche Auswirkungen auf Fettabbau oder den Aufbau von Magermasse? Richtig, keinen.

Weitere Studien folgten, welche diese grundlegenden Mängel vermieden. Einige davon vermeldeten positive Auswirkungen bestimmter Nutrient Timing Strategien. Doch Folgestudien konnten diese positiven Ergebnisse nicht reproduzieren.

Statt ins unendliche Detail bezogen auf unterschiedliche Spezialfälle und verschiedene Nährstoffe zu gehen, bringt es dieses Zitat aus einer Studie von Alan Aragon und Brad Schoenfeld aus 2012 auf den Punkt:

Nutrient [Änd. durch d. Autor] dosage and timing relative to resistance training is a gray area lacking cohesive data to form concrete recommendations.

Eine Grauzone, in der man keine konkreten Empfehlungen geben kann. Nutrient Timing hat einen derart geringen Grenznutzen, dass es im Prinzip nur für Elite Sportler relevant ist.

Und falls aus dem vorhergenden Satz bei dir nur hängen geblieben ist „Elite Sportler…? Der Scheiß funktioniert, muss ich auch machen!“, dann sollten wir uns nochmal über die Bedeutung des Begriffes „Grenznutzen“ unterhalten.

Ja aber… Was heißt das alles für mich?

Einfach. Hier ist eine Liste an Faktoren, die weitaus wichtiger für deinen Sport- oder Abnehmerfolg sind, als die Frage, wann du was isst:

1. Wie viel isst du? Iss, bis der Hunger verschwunden ist. Nicht bis zum absoluten Völlegefühl.

2. Wie isst du? Schlingst du deine Nahrung immer runter? Nimmst dir keine Zeit fürs essen, isst unterwegs in der Bahn, im Auto, im Gehen? Iss langsam und bewusst, möglichst ohne Ablenkung. Wenn du beim Essen fernsiehst o.ä., sieh dir etwas lustiges an. Das Lachen fördert die Verdauung! True Story.

3. Warum isst du? Hunger? Langeweile? Stress? Niedergeschlagenheit? Gesellschaftlicher Zwang?

4. Was isst du? Ich schlage vor: Unverarbeitete frische Fleischprodukte, wilden Fisch (je kleiner desto geringer die Schadstoffbelastung und desto nachhaltiger), frisches Gemüse, frisches Obst, gesunde stärkehaltige Kohlenhydratquellen (wie z.B. Süßkartoffeln oder pseudo Getreide wie Quinoa), sowie gesunde Fette (Olive, Kokosnuss, Walnuss, Kürbiskern, Bio Butter von grasgefütterten Kühen…)

Ja aber… Was heißt das alles für mich?

Einfach. Hier ist eine Liste an Faktoren, die weitaus wichtiger für deinen Sport- oder Abnehmerfolg sind, als die Frage, wann du was isst:

1. Wie viel isst du? Iss, bis der Hunger verschwunden ist. Nicht bis zum absoluten Völlegefühl.

2. Wie isst du? Schlingst du deine Nahrung immer runter? Nimmst dir keine Zeit fürs essen, isst unterwegs in der Bahn, im Auto, im Gehen? Iss langsam und bewusst, möglichst ohne Ablenkung. Wenn du beim Essen fernsiehst o.ä., sieh dir etwas lustiges an. Das Lachen fördert die Verdauung! True Story.

3. Warum isst du? Hunger? Langeweile? Stress? Niedergeschlagenheit? Gesellschaftlicher Zwang?

4. Was isst du? Ich schlage vor: Unverarbeitete frische Fleischprodukte, wilden Fisch (je kleiner desto geringer die Schadstoffbelastung und desto nachhaltiger), frisches Gemüse, frisches Obst, gesunde stärkehaltige Kohlenhydratquellen (wie z.B. Süßkartoffeln oder pseudo Getreide wie Quinoa), sowie gesunde Fette (Olive, Kokosnuss, Walnuss, Kürbiskern, Bio Butter von grasgefütterten Kühen…)

Beachtest du Punkte 1 bis 4 grundsätzlich und beständig? DANN kannst du dir Gedanken um Nutrient Timing machen.Ja aber… Was heißt das alles für mich?

Und dabei kannst du natürlich auf Studien bzw. darauf aufbauende Artikel oder Bücher als Anregung zugreifen (ein Favorit ist die Renegade Diet von Jason Ferruggia). Wichtig ist aber, dass du lernst auf deinen Körper zu hören und die Signale deines Körpers zu lesen, um herauszufinden, was für dich funktioniert. Und nicht für die drei Versuchspersonen der neusten Studie.

Schau in den Spiegel, beobachte die Waage. Wie fühlst du dich nach der Nahrungsaufnahme? Eine Stunde danach? Zwei Stunden danach? Wie schläfst du? Hast du Essensgelüste oder Hungerattacken? Zu bestimmten Uhrzeiten? Fühlst du dich den Tag über energiegeladen und frisch? Oder lustlos und träge? Wie erholst du dich von Trainingseinheiten? Sonstige ungewohnte Symptome (Kopfschmerzen, Muskelkrämpfe…)?

Dein Körper liefert dir jede Menge Feedback. Es zu nutzen, bringt dir mehr als jede brandneue Studie. Und die einzig zutreffende Antwort darauf, ob Frühstück FÜR DICH die wichtigste Mahlzeit des Tages ist.

Weiterführende Informationen:

Aragon, Schoenfeld 2013: Nutrient timing revisited: is there a post-exercise anabolic window?

Cover photo courtesy of mikatope (Creative Commons License)

Fruit Loops photo courtesy of nanagyei (Creative Commons License)