Die schockierende Wahrheit über Tracking von Kalorien, Training und Schlafqualität

Menschen haben gern Kontrolle über alles, was sie tun. Ich gebe es zu: ich habe auch gern Kontrolle. Kontrolle über meine Ernährung, mein Training, meine Daten, meine Finanzen… Warum das so ist, ist nicht Bestandteil des heutigen Artikels. Viel mehr beschäftigen wir uns heute mit dem Kontrollwahn und was er uns bringt und raubt.

Kontrollwahn

Gleich vorweg: ich halte das Tracking von Kalorien keineswegs für sinnlos. Das wäre auch sehr merkwürdig von mir zu hören, da ich ein Kompendium zum Ernährungssystem IIFYM geschrieben habe. Das System basiert praktisch auf Berechnungen und Festhalten der aufgenommenen Nahrungsmittel (sogenanntes Tracking). Auch bin ich ein Fan von Trainings-Logs, mit dessen Hilfe man Schwachstellen, Fehlerquellen und einiges mehr feststellen kann.

Kalorien Zählen

Eine ausführliche Betrachtung der Vorteile, Nachteile und des Vorgehens beim Kalorienzählen bekommst Du in meinem IIFYM-Artikel. Nur kurz: wir überwachen unsere Nahrungsaufnahme, um ein gewisses Ziel zu erreichen. Gewichtsabnahme, Gewicht halten oder Muskelaufbau. Das Kalorienzählen bringt beispielsweise die klassische „Massephase“ auf eine neue Ebene. Man muss sich nicht mehr ungewolltes Fett im Übermaß anfressen um Muskelmasse zuzulegen. Man behält die Kontrolle über seinen Körperfettanteil und seine Optik. Eine feine Sache.

Doch damit einher geht ein Risiko. Das Risiko zu verlernen wie man sich normal ernährt. Um das vielleicht besser zu verstehen, möchte ich Dir von mir erzählen. Ich „tracke“ (= zähle / Überwache) meine Kalorien nun seit knapp 2 Jahren. In der Anfangszeit hieß es „maßregeln“, also überwachen nicht zu viel zu essen. Zum Abnehmen ist die Herangehensweise ein klasse Tool. Später hieß es dann „kontrollierter Aufbau“. Was dabei der Körper wollte war relativ egal. Hatte man noch 500 Kalorien zu essen obwohl man keinen Hunger hatte, dann aß man sie eben.

Und spätestens jetzt haben wir ein Problem. Häuft sich das Phänomen das wir entweder noch Kalorien übrig haben oder zu viele gegessen haben, dann füllen wir die Lücke einfach. Wir gewöhnen uns daran und entwickeln ein „Gefühl“ für unsere geplante Kalorien-Zufuhr. Bis hierher ist es ja nicht verkehrt. Der nachfolgende psychologische Effekt des Zählens greift auch nur, wenn man sich lange in einem Kaloriendefizit befindet und meint, man hätte sich und sein Essverhalten gut unter Kontrolle.

Man stoppt das Kalorienzählen und isst zu viel oder zu wenig. Ähm ja. Wäre jetzt ja nicht so das Problem, wenn es unserem Ziel dienlich ist. Was aber zu beobachten ist: Kalorienzählen lehrt uns mit unseren Kalorien zu haushalten, es lehrt uns aber keine gesunden Gewohnheiten. Wir sind auf ein Tool (Tracking-Werkzeug) wie Myfitnesspal oder fddb angewiesen. Fehlt uns nun dieses Tool ist es dahin mit dem kontrollierten Aufbau, der kontrollierten Gewichtsabnahme oder Gewicht halten. Und warum? Weil wir unsere Zeit dafür verwendet haben Kalorien zu zählen, statt „gesunde“ Gewohnheiten zu bilden. Im Alltag ohne unser Tool begreifen wir das erst.

So ging es mir zumindest. Ich war vor einigen Wochen krank (wie in einem anderen Artikel zu lesen ist). Wie immer, wenn ich krank werde, unterlasse ich das Kalorienzählen und führe meinem Körper das zu, was er braucht. Als ich wieder genesen war dachte ich mir, ich könne es wagen ohne Kalorienzählen auszukommen. Gut. Die ersten Wochen waren katastrophal. Meine Liebe zu Burger kennst Du? Ich ergriff wesentlich häufiger die Gelegenheit auf der Karli oder in der Innenstadt einen Burger zu verspeisen. Ich merkte: mir fehlte die Kontrolle.

Mein Kumpel Ruppert beendete sein Kalorienzählen-Experiment letztes Jahr ziemlich schnell wieder, weil ihm die App-Eingabe auf den Sack ging. Ich dachte mir: aye, was für eine Pflaume! Mittlerweile verstehe ich ihn besser.

Lange Rede, kurzer Sinn: ich nahm innerhalb von wenigen Tagen 1kg zu. Yeah. Mittlerweile ist es einige Wochen her und es hat sich normalisiert. Ich lerne wieder mit meinem Körper klar bzw. auszukommen. Man muss sich einfach auf die Basics besinnen. Denn: wer will schon ein Leben lang Kalorienzählen?

Trainingstagebuch

Sein Training zu überwachen ist eines der ersten Dinge, die man von Bodybuilding-, Powerlifter- und auch Radsportlerveteranen lernt. Und das ist auch richtig so. Die Problematik: Trainingslogs sind keine aktiven Sachen wie das Kalorienzählen. Trainingslogs dienen der Auswertung. Die Arbeit findet hier also im Nachhinein statt. Klar, Du schreibst aktiv deine Fortschritte, Gewichte, Sätze und vielleicht Pausen auf. Das bringt Dir alles aber relativ wenig, wenn Du dich nie hinsetzt und deinen Kram auch mal auswertest.

Um wie viel Kilogramm habe ich mich beim Bankdrücken im letzten Jahr gesteigert? Um wie viel im letzten Monat? Kann ich das Tempo beibehalten? Inwiefern kann ich mein Training anpassen, um eine Gewichtssteigerung beim Kreuzheben zu erzielen und eben nicht mehr zu stagnieren? Solche Fragen können beantwortet werden.

Wenn Dir solche Fragen aber komplett egal sind und Du einzig zum Spaß trainierst, warum führst Du dann ein Trainingstagebuch? Weil es Experten und Gurus raten? Hör mal: wenn Du nach 5 Jahren deine Bücher voller Trainingsdaten im Schrank hast und sie dich immer noch einen Scheiß interessieren bist Du einfach nur ein Daten-Messi. Sie bringen Dir nichts. Genau so wenig wie der neue NFC-Chip in deinem iPhone 6, wenn Du damit nicht bezahlen willst.

Wohlstand ist, wenn man mit Geld, das man nicht hat, Dinge kauft, die man nicht braucht, um damit Leute zu beeindrucken, die man nicht mag. – Alexander v. Humbold

Dieses Zitat trifft nicht nur auf alle materiellen Dinge zu. Ergänzt man es um nachfolgendes Zitat, sollte Dir etwas klar werden:

Es gibt Diebe, die nicht bestraft werden und einem doch das kostbarste stehlen: die Zeit – Napoleon

Pauschalisierungen

Nur ganz kurz möchte ich die Pauschalisierungen ansprechen. Mittlerweile sind Kalorientracker soweit, dass man einiges selbst anpassen kann. Dennoch sind Richtwerte nur Richtwerte. Nur 50g Fruktose zu sich zu nehmen ist ja schön und gut, wenn Du aber nun mal an einem heißen Sommertag Lust auf verdammt viel Obst hast, dann ist das so. An Folgetag isst Du dafür womöglich nur die Hälfte. Dieses Pauschalisierungsgedöns ist extrem nervig.

Schlafqualität überwachen

Sogar seinen Schlaf kann man mittlerweile überwachen. Yeah! Im Ernst: was willst Du noch alles kontrollieren? Wenn Du unbedingt besseren Schlaf möchtest, weil Du mit deinem nicht zufrieden bist, dann mach folgendes:

1. Geh früher ins Bett

2. Mach dein Smartphone mindestens eine Stunde vorher aus und lass es im Wohnzimmer

3. Beweg dich tagsüber (mehr)

Du brauchst keinen beschissenen Schlafqualitäts-Tracker, der sehr wahrscheinlich als App auf deinem iPhone schlummert. Hau den Dreck zum Fenster raus.

Schrittzähler

Schrittzähler hingegen sind super. Super, um Gewohnheiten zu etablieren. Zumindest wenn man ehrlich arbeitet. Als Kind hatte ich einen Pokémon-Tamagotchi, der einen Schrittzähler eingebaut hatte. Wenn man nun genügend Schritte gesammelt hatte, konnte man Pikachu mit Extra-Futter ernähren oder ihm neue tolle Spielsachen kaufen. Weißt Du, was ich damals abends gemacht habe? Ich hab mich vor dem Schlafen in mein Bett gesetzt und 10 Minuten lang dieses Teil geschüttelt.

Die schockierende Wahrheit ist: Du zählst Dich zu Tode und merkst es nicht mal – beschränk dich auf das Nötigste und investier die Zeit lieber in das Implementieren gesunder Gewohnheiten.

PS: Heute Abend gibt’s ein selbstgemachtes Süppchen!