
Veröffentlicht am 15.10.2023
Tracking: Kalorien, Training & Schlaf
Menschen haben gern Kontrolle über alles, was sie tun. Ich gebe es zu: ich habe auch gern Kontrolle. Kontrolle über meine Ernährung, mein Training, meine Daten, meine Finanzen… Warum das so ist, ist nicht Bestandteil des heutigen Artikels. Viel mehr beschäftigen wir uns heute mit dem Kontrollwahn und was er uns bringt und raubt.
Kontrollwahn
Gleich vorweg: ich halte das Tracking von Kalorien keineswegs für sinnlos. Das wäre auch sehr merkwürdig von mir zu hören, da ich ein Kompendium zum Ernährungssystem IIFYM geschrieben habe. Das System basiert praktisch auf Berechnungen und Festhalten der aufgenommenen Nahrungsmittel (sogenanntes Tracking). Auch bin ich ein Fan von Trainings-Logs, mit dessen Hilfe man Schwachstellen, Fehlerquellen und einiges mehr feststellen kann.
Kalorien zählen
Eine ausführliche Betrachtung der Vorteile, Nachteile und des Vorgehens beim Kalorienzählen bekommst Du in meinem IIFYM-Artikel. Kurz: Wir überwachen unsere Nahrungsaufnahme, um ein gewisses Ziel zu erreichen – Gewichtsabnahme, Gewicht halten oder Muskelaufbau. Das Kalorienzählen hebt beispielsweise die klassische „Massephase“ auf eine neue Ebene. Man muss sich nicht mehr ungewollt Fett im Übermaß zuführen, um Muskelmasse zuzulegen. Man behält die Kontrolle über seinen Körperfettanteil und seine Optik. Eine feine Sache.
Doch damit einher geht ein Risiko: das Verlernen einer normalen Ernährung. Um das besser zu verstehen, möchte ich Dir von meinen Erfahrungen berichten. Ich tracke meine Kalorien nun seit knapp 2 Jahren. In der Anfangszeit hieß es, nicht zu viel zu essen, um abzunehmen. Später dann „kontrollierter Aufbau“. Was der Körper dabei wollte, war relativ egal. Hatte man noch 500 Kalorien übrig, auch ohne Hunger, dann aß man sie eben.
Spätestens dann entsteht ein Problem: Wenn sich regelmäßig Kalorien übrig haben oder zu viel gegessen wurde, füllt man die Lücke einfach. Man gewöhnt sich daran und entwickelt ein „Gefühl“ für die geplante Kalorienzufuhr. Diesen psychologischen Effekt des Zählens spürt man vor allem in einem langen Kaloriendefizit, wenn man denkt, das Essverhalten sei gut unter Kontrolle.
Man stoppt das Kalorienzählen und isst zu viel oder zu wenig. Das wird problematisch, wenn es vom angestrebten Ziel abweicht. Kalorienzählen lehrt uns, mit unseren Kalorien zu haushalten, aber nicht, gesunde Gewohnheiten zu entwickeln. Wir verlassen uns auf Tools wie MyFitnessPal oder fddb. Fehlt uns dieses Tool, ist der kontrollierte Aufbau, die kontrollierte Gewichtsabnahme oder das Gewichthalten gefährdet, weil wir unsere Zeit fürs Zählen statt für gesunde Gewohnheiten verwenden. Im Alltag merkt man das schnell.
So ging es mir zumindest. Als ich krank war – wie in einem anderen Artikel zu lesen – ließ ich das Zählen weg, um meinem Körper das zu geben, was er brauchte. Nach der Genesung dachte ich, ich könnte ohne Kalorienzählen auskommen. Doch die ersten Wochen waren katastrophal. Meine Liebe zu Burgern verleitete mich dazu, öfter einen Burger zu essen, und ich merkte: mir fehlte die Kontrolle.
Mein Freund Ruppert beendete sein Kalorienzählen-Experiment letztes Jahr ziemlich schnell, weil ihn die App-Eingabe nervte. Schließlich nahm ich innerhalb weniger Tage 1 kg zu. Mittlerweile hat sich alles normalisiert, und ich lerne wieder, mit meinem Körper klarzukommen. Man muss sich auf das Wesentliche besinnen: Wer will schon ein Leben lang Kalorien zählen?
Trainingstagebuch
Die Überwachung des Trainings gehört zu den ersten Dingen, die man im Bodybuilding, Powerlifting oder Radsport lernt. Trainingslogs dienen der Auswertung – die Arbeit findet im Nachhinein statt. Klar, Du schreibst aktiv Deine Fortschritte, Gewichte, Sätze und eventuell Pausen auf. Doch das nützt wenig, wenn Du die Daten nicht auch auswertest.
Wie viel Kilogramm hast Du Dich beim Bankdrücken im letzten Jahr gesteigert? Um wieviel im letzten Monat? Kannst Du das Tempo beibehalten? Inwiefern kannst Du Dein Training anpassen, um beim Kreuzheben mehr zu schaffen und nicht zu stagnieren? Solche Fragen können beantwortet werden.
Wenn Dir solche Fragen völlig egal sind und Du nur zum Spaß trainierst, warum führst Du dann ein Trainingstagebuch? Weil es Experten und Gurus empfehlen? Hör mal: Wenn Du nach 5 Jahren Deine Bücher voller Trainingsdaten im Schrank hast und sie Dich immer noch nicht interessieren, bist Du einfach nur ein Daten-Messi. Diese Daten bringen Dir nichts – genauso wenig wie ein NFC-Chip in einem alten iPhone, wenn Du damit nicht bezahlen willst.
Wohlstand ist, wenn man mit Geld, das man nicht hat, Dinge kauft, die man nicht braucht, um damit Leute zu beeindrucken, die man nicht mag. – Alexander v. Humboldt
Dieses Zitat trifft nicht nur auf materielle Dinge zu. Ergänzt man es mit einem weiteren Zitat, sollte Dir etwas klar werden:
Es gibt Diebe, die nicht bestraft werden, und einem doch das Kostbarste stehlen: die Zeit. – Napoleon
Nur ganz kurz möchte ich auf Pauschalisierungen eingehen. Mittlerweile sind Kalorientracker so flexibel, dass man vieles selbst anpassen kann. Dennoch bleiben Richtwerte nur Richtwerte. 50 g Fruktose zu sich zu nehmen ist ja schön, aber an einem heißen Sommertag, wenn Du viel Obst essen möchtest, ist das eine andere Sache. Diese Pauschalisierungen sind extrem nervig.
Schlafqualität überwachen
Sogar den Schlaf kannst Du mittlerweile überwachen – was willst Du sonst noch kontrollieren? Wenn Du besseren Schlaf möchtest, probiere Folgendes aus:
- Geh früher ins Bett.
- Schalte Dein Smartphone mindestens eine Stunde vorher aus und lass es im Wohnzimmer.
- Beweg Dich tagsüber mehr.
Du brauchst keinen Schlafqualitäts-Tracker, der wahrscheinlich nur als App auf Deinem iPhone schlummert. Lass ihn bleiben.
Schrittzähler
Schrittzähler sind super, um Gewohnheiten zu etablieren – vorausgesetzt, Du arbeitest ehrlich. Als Kind hatte ich ein Pokémon-Tamagotchi mit eingebautem Schrittzähler. Sobald genügend Schritte gesammelt wurden, konnte man Pikachu mit Extra-Futter versorgen oder ihm neue Spielsachen kaufen. Erinnerst Du Dich, was ich damals abends gemacht habe? Ich setzte mich vor dem Schlafen ins Bett und schüttelte das Gerät 10 Minuten lang.
Die Wahrheit ist: Du zählst Dich zu Tode, ohne es zu merken. Beschränke Dich auf das Nötigste und investiere die Zeit lieber in den Aufbau gesunder Gewohnheiten.
PS: Heute Abend gibt’s ein selbstgemachtes Süppchen!