Übertraining, oder warum dein Körper schlauer ist als jeder Experte

Du hast bestimmt auch schonmal gehört, dass Fehler nicht schlimm sind. Fehler sind gut, denn aus ihnen kann man lernen. Dieser Lernprozess läuft unterschiedlich schnell. Manchmal machst du einen Fehler, und weißt sehr direkt danach, dass es einer war und was du zukünftig besser machen kannst. Wenn dich die Polizei aus dem Verkehrt zieht, weil du über rot gefahren bist, ist das ein ziemlich direktes Feedback.

Der gleiche Lernprozess kann aber auch viel länger brauchen. Tage. Wochen. Monate. Und manchmal viele Jahre.

Experten haben auch keine Ahnung

Eigentlich soll es um Übertraining gehen. Experte A erzählt im Internet vielleicht: „Programm X kann ja niemals funktionieren, wer das macht ist ganz schnell im Übertraining!“. Okay. Aber Experte B schreibt in seinem jüngsten Facebook Post: „Übertraining ist ein Mythos! Es gibt KEIN Übertraining.“ Oder noch drastischer: „Overtraining is just being undertough.“

Je nachdem, welche Aussage für dich gefühlt mehr Sinn ergibt, wer der Autor der Aussage ist, und wie cool sie formuliert wurde, entscheidet darüber, wem du deinen Glauben schenkst und welche praktischen Anweisungen du in Zukunft befolgst.

Ich glaube, das ist ein Fehler. Denn der beste Experte für DICH bist du SELBER. In deinem Körper steckt mehr Weisheit für DICH als in jedem Blogpost oder Trainingsbuch dieser Welt.

Ich behaupte: Übertraining ist existent. Und: Die kritische Schwelle liegt bei jedem Individuum woanders.

Mein Beispiel

Jedes Jahr kann ich die Uhr danach stellen. Sobald die Herbst- bzw. Winterzeit hereinbricht, weiß ich, dass mein Körper nach einem harten Trainingszyklus irgendwo zwischen 8–12 Wochen am Ende ist und die weiße Fahne hochzieht. Die weiße Fahne ist sogar recht wörtlich, denn ein Infekt treibt dann meinen Verbrauch an Papiertaschentüchern plötzlich in die Höhe.

Daraus hatte ich bislang nie gelernt. Oh doch, glaub mir, ich habe versucht daraus zu lernen. Habe mir angeschaut, was in den Wochen passiert ist, meine Trainingslogs durchgesehen, meine Ernährung betrachtet. Irgendwo muss es einen Detailfehler geben, der dieses Resultat zur Folge hat.

Nunja. Manchmal hilft es, herauszuzoomen, weil der Bildausschnitt viel zu klein ist. Was, wenn die wahre Ursache viele Monate oder sogar Jahre zurückliegt?

Am Wochenende habe ich ein Chiropraktik Seminar mit Top Vertretern dieser Zunft besuchen dürfen. Ohne ins große Detail zu gehen: Die Schulmedizin zerlegt den Körper in Einzelteile (wie ein Bodybuilder) und interessiert sich für Krankheit und deren Behandlung. Der Chiropraktiker im engeren Sinne betrachtet den Körper als Einheit und interessiert sich für Gesundheit und wie man diese erreicht. Ein GROSSER Unterschied in der Betrachtungsweise.

Der Groschen in Bezug auf meine jährliche Trainings-Krankheits-Misere fiel, als ich mich von einem älteren D.C. (Doctor of Chiropractic) justieren ließ. Im Rahmen seines kurzen Assessments fragte er nach gesundheitlichen Dingen, die er wissen sollte, Operationen, die vielleicht mal durchgeführt wurden und so weiter. Dabei erwähnte ich auch, dass mir im Alter von 16 Jahren (also vor mehr als einer Dekade!) die Mandeln entfernt wurden.

Die Mandeln sind ein Teil des menschlichen Immunsystems. So etwas zu entfernen klingt ziemlich doof, oder? Ist es auch. Gemacht wurde es, weil ich damals viele Infekte der oberen Atemwege hatte, was sich in häufigen Mandelentzündungen äußerte. Statt nach der Ursache dieser Symptomatik zu forschen, gab es eine typisch ratlose Antwort der Schulmedizin: Weg damit!

Ist das für mich (oder für dich, falls auch du keine Mandeln mehr besitzt) jetzt furchtbar schlimm, oder gar gefährlich? Nein. Aber natürlich kann der Körper diesen Wegfall eines wichtigen Teils des Immunsystems nur begrenzt kompensieren. Einen Vierzylinder Motor kannst du auch auf nur drei Töpfen fahren – aber wer das schonmal erlebt hat, weiß, dass das Fahrerlebnis dadurch ein kleines bisschen beeinträchtigt wird. Von A nach B kommst du aber immer noch.

Für mich wurde nun einiges klar: Mit einzelnen Stressoren kommt mein Immunsystem gut zurecht. Aber kommen viele Einflüsse zusammen und strapaziere ich in der klassischen Erkältungszeit mein Immunsystem durch hartes Training, dann reichen die Reserven nicht mehr, jeden Infekt abzuwehren.

Mein persönliches Fazit: Damit muss/kann ich leben. Mein Training wird ab sofort eine jahreszeitliche Komponente enthalten, und ich werde die harten Zyklen in anderen Monaten durchführen.

Lerne aus den Signalen deines Körpers!

Wir werden im Denksystem unserer Gesellschaft mit der Schulmedizin als vorherrschender „gesundheitlicher“ Institution dazu erzogen, Krankheiten zu fürchten und für schlecht zu halten. Tatsächlich ist es ganz anders: Krankheiten sind GUT. Eine Krankheit ist wie ein Lehrmeister, der dann auftaucht, wenn du ihn am meisten brauchst. Die Krankheit zeigt dir, dass etwas falsch lief, und dass du etwas ändern musst. Und wenn es nur ist, dir mehr Ruhe oder bessere Nahrungsmittel zu gönnen.

Dein Körper ist der einzige Experte, auf den du uneingeschränkt hören solltest, denn nur er weiß, was richtig für DICH ist.

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Title photo courtesy of Ansel Edwards (Creative Commons License)

„Mistake“ photo courtesy of Herman Yung (Creative Commons License)

„Man in a droplet“ photo courtesy of Hartwig HKD (Creative Commons License)