Stärker, schneller, besser: Das Fitnessstudio als Labor
Ruppert und ich sind uns einig: dieser Artikel sollte bereits vor langer Zeit erscheinen. Nun möchte ich mich der Aufgabe annehmen und Kelly Starretts sehr guten Gedanken in Artikelform bringen. Aus der Einleitung des Buchs „Werde ein geschmeidiger Leopard“ von Kelly Starrett* inspiriert.
Ein neutraler, geschützter Ort
Zunächst möchte ich darauf eingehen, warum das Fitnessstudio ein nahezu perfekter Ort ist, um an sich selbst (oder aber der Personal Trainer an Dir) zu arbeiten. Da gibt es zum einen den Bonus des neutralen Ortes. Er gehört weder Dir, noch deinem Trainer. Du bezahlst, um Dich dort sportlich betätigen zu dürfen. Das ist ein wichtiger Punkt. Gerade aus psychologischer Sicht. Du fühlst Dich durch den bezahlten Mitgliedsbeitrag ermächtigt Sportgeräte zu nutzen und Dinge auszuprobieren.
Ein anderer Vorteil ist, dass Du unter Gleichgesinnten bist und Dich in einer geschützten Atmosphäre befindest. Alle anderen schwitzen ebenfalls, alle andere strengen sich ebenfalls an. Euch verbindet ein gemeinsames Ziel: sportliche Leistungsfähigkeit. Dabei ist die Unterscheidung in Muskelaufbau, Steigerung der Ausdauerleistung oder Gewichtsabnahme zunächst zweitrangig. Ein gemeinsames Ziel spornt an und motiviert unheimlich.
Die Realität…
…sieht oftmals anders aus. Ich weiß das. Gerade in Fitnessstudioketten gibt es die Pumperfraktion, die brav ihre 5 verschiedenen Bizepscurlmaschinen ausprobiert und Dich komisch ansieht, wenn Du einen Clean & Jerk versuchst oder Kreuzheben korrekt ausführst. Deshalb musst Du dir ein geeignetes Mindset für das Gym zulegen. An anderer Stelle habe ich schon mal erwähnt, dass ich es absurd finde, dass Menschen sich selbst zu dick für ein Fitnessstudio finden. Kann man es ihnen aber verübeln? Sie werden durch Magermodel-Ideale in eine Richtung gedrängt, von ihren Müttern als knuffige Pummel beschrieben und an jeder Ecke mit Fast Food gelockt.
Das benötigte Mindset kommt nicht einfach zu einem geflogen. Man muss etwas dafür tun. Und das nennt sich Wille, Disziplin und Zielstrebigkeit. Diese 3 Faktoren machen in so einem Fall eine Menge aus. Denn Selbstbewusstsein entsteht nicht einfach so. Bist Du dir sicher, dass Dir die ungewohnte Umgebung (das Fitnessstudio) helfen wird, dann geh hin. Als ich anfing im Mc Fit in Leipzig zu trainieren strotzte ich vor Selbstbewusstsein, obwohl ich noch relativ moppelig und schlecht gekleidet war. Monate später sprach mich ein älterer Muskelveteran an und fragte mich, wie ich so viel abgenommen habe und respektierte meine Leistung. Mit ihm bin ich auch heute noch befreundet und ich gebe ihm hin und wieder Tipps.
Dysfunktionen, Körperhaltung, schlechte Gelenkmechanismen
Bist Du nun im Gym angekommen, kannst Du oder Ihr (also dein Trainer / Trainingspartner und Du) anfangen, an deinen Problemstellen zu arbeiten. Das funktioniert besonders gut bei Beschwerden, die aus schlechter Körperhaltung, Dysfunktionen oder fehlerhaften / schlechten Gelenkmechanismen resultieren. Dafür gibt es eine breite Palette an Übungen. Nicht nur bloße Kräftigungsübungen, sondern auch Dehnübungen und sogenannte „Cues“. Das sind spezielle Hinweise / Stichwörte, an die Du in gewissen Momenten denken solltest. Etwa „Brust raus!“ oder „Schultern zurück und nach unten ziehen!“. Mit solchen „Kleinigkeiten“ allein kannst Du deine Körperhaltung drastisch verbessern.
Das Problem liegt hier zum Einen in der Unwissenheit des Trainees (also der, der zu trainieren ist), in der Nichtbereitschaft einen richtigen Personal Trainer (und keinen Angestellten von Mc Fit) zu engagieren und in der Faulheit des Trainees. Alle drei Faktoren stehen dem eigentlichen Ziel im Weg. Von Bizepscurls wird dein Rundrücken nicht besser, 60 Minuten auf dem Crosstrainer beseitigen dein Hohlkreuz nicht und deine Rückenschmerzen werden auch nicht vom Nackendrücken besser. Hier gilt es zu experimentieren! Du bist schließlich in deinem Labor.
[Tweet „„Das Sport- oder Fitnessstudio sollte als Labor für sportliche Leistung betrachtet werden.“ – Kelly Starrett“]Schwächen aufdecken
Kelly Starrett beschreibt es in etwa so: wenn Du einen Overhead-Squat (Überkopf-Kniebeuge) mit 60kg einwandfrei ausführen kannst, ist das ein beachtliche Leistung, die deine Hüfte und deine Sprunggelenke erbringen müssen. Jetzt verschärfen wir aber die Bedingungen und übertragen es mehr in die „reale Welt“. Du rennst vorher 400 Meter, nimmst einen etwas schwereren Gegenstand (keine Langhantel) und versuchst das Gewicht mit mehreren Wiederholungen im Overhead-Squat auszuführen. Du wirst höchstwahrscheinlich scheitern. Kelly hat in seinem Beispiel an Umfang, Intensität, Stress und Ausdauerreiz geschraubt und der Athlet kollabiert komplett. Zugegeben, das Beispiel ist etwas gemein und übertrieben, aber er hat durchaus Recht.
Es macht sehr viel Sinn, Dinge einmal anders zu machen. Vielleicht nur einen Faktor der genannten erhöhen und schauen, was passiert. Ist deine Ausdauerleistung zu schlecht, solltest Du diese vielleicht mehr fördern. Ein Mensch ist in der Lage Schwächen sehr gut verdeckt zu halten. Der Körper besitzt haufenweise Stützmuskulatur, die es ermöglicht eine Übung äußerlich mit sehr guter Form zu bewältigen. Innerlich kollabiert aber das Knie, die Bänder stehen kurz vor der Überdehnung und die Sprunggelenke zerbersten nahezu. Schwächen können ausgeglichen werden und das ist auch gut so. Was schlecht ist: es wird angenommen, dass sie optimal ausgeführt werden und das birgt ein riesiges Verletzungspotenzial.
Ein sehr großer Punkt ist hier „Fatigue“, die sogenannte Ermüdung des Athleten. Irgendwann ermüdet jeder Mensch, egal wie gut trainiert er ist. Die Empfehlungen von den weltbesten Coaches gehen häufig zu „ich würde 20 Wiederholungen oder mehr versuchen“ oder zu „mehr Volumen“, wobei viele Strength Coaches einfach nur niedrige Wiederholungszahlen, hohes Gewicht und knackige Einheiten fordern.
Ein weiterer Vorteil für den Personal Trainer
Personal Trainer ist nicht gleich Personal Trainer. Bist Du ein Ruderer, dein Trainer hat aber keine Ahnung vom Rudern, sondern trainiert Fußballer, ist es problematisch fehlerhafte Bewegungen zu erkennen, zu analysieren und zu beheben. Im Sportstudio hingegen ist das relativ einfach möglich. Das Krafttraining hat eine größtmögliche Schnittmenge mit vielen Sportarten. Bist Du in der Lage im Gym eine richtige Rudertechnik vorzuführen und auch die Hilfsmuskeln richtig zu benutzen, wirst Du es in der Realität womöglich auch tun. Ist dies nicht der Fall, gibt es noch andere Stellschrauben, die der Personal Trainer überprüfen kann. Beweglichkeit, Stärke, Ausdauer, Koordination, Gelenkproblematiken… Die richtigen Übungen sind hier die Diagnosewerkzeuge.
Bewegungsqualität über Alles
Was ist nun das Wichtigste im Studio? Eindeutig die Bewegungsqualität. Legst Du eine einwandfreie Form einer Übung an den Tag, kann man diese Übung sehr schwer, sehr schnell oder sehr oft ausführen. Hast Du eine fehlerhafte Form, wird eine Sache wahrscheinlich nicht möglich sein oder zwangsläufig zu Verletzungen führen. Ausgleichsbewegungen sind nicht erwünscht, da es zum oben beschriebenen Phänomen führen kann und der Athlet sich sehr wahrscheinlich verletzen wird. Kelly Starrett erwähnt übrigens, dass er etliche Weltklasse-Athleten betreut hat, die nicht einmal die einfachsten Formen von Kreuzheben oder der Kniebeuge ohne Ausgleichbewegungen beherrschten. Man kann daraus schlussfolgern, dass diese Athleten trotz ihrer vermeintlich fehlerhaften Bewegungsmuster zu Spitzenleistungen gelangen – der Körper scheint eine Menge zu ertragen und mitzumachen.
Das ist ein Punkt, den man problemlos zum Bodybuilding übertragen kann. Nicht der, der am besten aussieht, hat das meiste Wissen und macht am meisten richtig. Nein. Das ist ein Irrglaube. Er ist einfach mit einem besonders stabilen und widerstandsfähigen Körper gesegnet, der es ihm ermöglicht so auszusehen.
Ein Blick in die vorherrschende Meinung
Okay, Du und ich, wir sind Ausnahmen. Wir sehen Bodybuilding, Powerlifting und somit auch Bankdrücken und Kreuzheben als Sportarten an. Aber in der Welt da draußen (also außerhalb unserer momentanen kleinen Blase) ist Sport so etwas wie Fußball, Volleyball, Football oder Kampfsport. Krafttraining, Sprints, Turnen und Beweglichkeitstraining dient der Ergänzung dieser Sportarten. Es sind Hilfssportarten. Wir müssen unser Bewusstsein erweitern und aufhören in klassischen Dogmen zu denken. Wir können uns von allen Sportarten das herauspicken, was uns weiterbringt. Mehr Abwechslung im Training, mehr Neues, neue Einflüsse und Inputs.
Zum Abschluss möchte ich Dich mit noch einem Zitat von Kelly Starrett beglücken:
„Wer Rechtschreibung und Grammatik beherrscht, kann einen Satz schreiben. Wenn ein Football-Spieler versteht, wie er an einer Langhantel ein Drehmoment in der Schulter entwickelt, wird er in der Lage sein, die stabile und effektive Schulterstellung einzunehmen, mit der er einen Gegenspieler am besten attackiert.“ – Kelly Starrett, „Werde ein geschmeidiger Leopard“
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