Problem „Unpassendes Trainingsprogramm“

Ich empfehle Anfängern (und auch so manchen Fortgeschrittenen) gern einen Ganzkörperplan mit 3 Trainingseinheiten die Woche als Trainingsprogramm. Heißt das, dass Menschen, die nur 2 Mal die Woche trainieren können, keine Muskeln aufbauen können? Nein. Fortgeschrittene Athleten trainieren oft 4 Mal oder mehr die Woche. Wenn Du nun an einem Punkt angelangt bist, an dem Du mehr Reize setzen musst, um leistungsfähiger zu werden und Muskeln aufzubauen und diese 4+ Trainingseinheiten pro Woche nicht einhalten kannst, wirst Du dich also nicht weiterentwickeln? Nein.

Standardpläne bei Schmerzen und körperlichen Besonderheiten

„Standardpläne“ wie “Starting Strength” und vergleichbare Trainingsprogramme empfehle nicht nur ich besonders gern. Das macht man, weil der vorgeschriebene Fortschritt (englisch: progress) leicht nachvollziehen werden kann, die Pläne an vielen verschiedenen Menschen getestet wurden und davon eine große Schnittmenge sehr gut mit den Trainingsprogramm klar kam.

Doch nicht immer ist das der einzige oder gar beste Weg, um seinen Körper leistungsfähiger zu bekommen und zu stärken. Viele Menschen haben eine schlechte Genetik, sind anatomisch benachteiligt oder haben mit Problemzonen (Schulterschmerzen, Schmerzen im unteren Rücken…) zu kämpfen. Ist es dann sinnvoll einem Trainee einen Plan zu empfehlen, der 3 Mal die Woche Bankdrücken und Schulterdrücken vorsieht? Wenn man seine Schulter komplett zerstören möchte und seinen Ibuprofen-Vebrauch gegen unendlich bewegen möchte, ist das ein super Ansatz!

Standardpläne funktionieren, wie schon erwähnt, sehr gut für eine Vielzahl von Menschen. Andere Menschen benötigen aber eine andere Herangehensweise.

Limitierender Faktor „Zeit“

Genau so verhält es sich mit der Zeit. Einem Familienvater, der zu Hause eine Frau, 2 Kinder und einen Vollzeitjob hat, kann man nicht unbegrenzt viel Zeit abverlangen. Klar, man kann als Coach (als Coach gelten auch die Erschaffer der Trainingsprogramme) sagen: „mach meinen Plan 3 Mal die Woche oder Du machst meinen Plan nicht richtig. Dann hast Du keinen Erfolg“. Aber ist das wirklich sinnvoll?

Oft mangelt es nicht an der Bereitschaft etwas zu investieren (Zeit, Geld, Nerven), sondern an der tatsächlich verfügbaren Menge der Faktoren (Zeit, Geld, Nerven). Einem Burnout-Patienten empfiehlt man schließlich auch nicht, einen Nebenjob anzutreten, wenn er nicht genug Geld zur Verfügung hat.

Ein guter Trainingsplan muss in das Leben des Trainees passen und nicht umgekehrt. Es gibt immer Möglichkeiten einen Menschen zu coachen, wenn dieser den Willen hat.

Verschiedene Ziele, verschiedene Ansätze

Momentan hat sich eine hervorragende Möglichkeit für uns ergeben: wir coachen ein Fußballteam. Das hat mehrere interessante Aspekte. Man muss sie zum einen so coachen, dass sie sich nicht während der Krafttrainings verletzen, zum anderen so, dass sie positive Effekte aus dem Training mitnehmen. Eine weitere Sache ist das Fußballtraining. Wenn wir sie Beine bis zum Muskelversagen trainieren lassen, dann können sie am nächsten Tag kaum 90 Minuten durchspielen. Ergibt nicht viel Sinn, oder?

Die Zielsetzung der Fußballmannschaft (und des Fußballtrainers, der uns kontaktiert hat) lautete nicht, unbewegliche Muskelberge aus seinen Spielern zu machen, sondern ihre Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Das ist ein wichtiges Detail. Man muss die Ziele des Menschen beachten und darauf seine Herangehensweise aufbauen.

Die durchschnittliche Person, die uns kontaktiert, möchte Fett abnehmen oder Muskeln aufbauen. Aber auch da gibt es feine Unterschiede. Der eine möchte so viel Muskelmasse wie möglich generieren, der andere möchte Kraftbetont trainieren und nur dezent Muskeln draufpacken, um auch im Anzug bei seiner Arbeit, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Wieder andere möchten sich nur fit halten.

Ein „Starting Strength“ wird nicht für Menschen geeignet sein, die 2 Mal die Woche Fußballtraining absolvieren müssen. So einfach ist das. Da kann man sich andere Mechanismen einfallen lassen und deren Krafttraining anders gestalten. Das gilt für jede erdenkliche Sportart und jedes erdenkliche Ziel.

Krafttraining: das gewisse Etwas

Ich bin überzeugt, dass in jeder Sportart (ja, sogar bei Dart!) eine Leistungssteigerung möglich ist, wenn man Krafttraining ergänzend hinzuzieht. Der durchschnittliche Mensch hat nicht zu viel, sondern zu wenig Muskeln, Koordination und Beweglichkeit. Auch das Gegenteil (zu viel Muskeln, Koordination und Beweglichkeit) muss beachtet werden.

Eine Trainingseinheit ist auch nie „umsonst“. Du bewirkst immer etwas, wenn Du dein Muskelkorsett stimulierst. Das resultiert vielleicht nicht immer sofort in Muskelaufbau, aber es führt zu einer Verbesserung deines Ichs (mental, körperlich).

PS: Diesen Artikel habe ich John Sheaffer aka Johnny Pain zu verdanken, der in seinem Buch zu seinem Trainingsprogramm „GreySkull LP“ genau diese Umstände beschreibt und ebenfalls die Meinung vertritt: der Trainingsprogramm sollte sich an den Trainee anpassen.

title photo „5/365“ by Anna Gutermuth (CC BY 2.0)