Ist Krafttraining für stumpfe Pumper?
Wer hier bei Form Vor Gewicht schonmal vorbeigeschaut hat, hat vielleicht festgestellt, dass das Wort „Krafttraining“ häufiger fällt.
Denkst du bei Krafttraining sofort an:
• goldbehängte Discopumper aus dem Assi-Toaster?
• an dickbäuchige Harley Fahrer mit vielen Tattoos und zweifelhaften Connections?
• Mr. Olympia und anabole Steroide?
• Stundenlange Isolationsübungen an Maschinen im Fitnessstudio?
• einen Sport der so langweilig und dumm ist, dass er für niemanden geeignet ist, der schonmal ein Buch gelesen hat?
• die Frage, ob man das überhaupt Sport nennen kann? Die können ja nix außer Kraft!
Wenn du bei mindestens einer dieser Fragen nicken konntest, dann hast du vermutlich einen schlimmen Fall von Vorurteileritis.
Krafttraining ist nicht Bodybuilding
Dieser Satz ist richtig. „Bodybuilding ist (eine Form von) Krafttraining.“ Dieser Satz ist aber auch richtig. Verwirrend!
Es gibt mehrere Kraftsportarten. Bodybuilding ist eine davon. Andere wären Powerlifting (Kraftdreikampf), Olympisches Gewichtheben, Strongman, Kettlebellsport… Bei diesen Sportarten geht es um das messbare Erbringen körperlicher Kraft. Ob man dehydriert und eingeölt besonders angeschwollen aussieht ist hingegen kein Kriterium.
Trotzdem verbinden (leider) die meisten Menschen Krafttraining ausschließlich mit Bodybuilding und den „Michelinmännchen“, die darin auf höchstem Niveau wetteifern.
Ursprünglich war Bodybuilding mal ein Gesundheitssport im besten Sinne, der neben die Maximierung der Körperkraft auch eine ästhetische Formung des Körpers gestellt hat. Frühe Vertreter wie Eugen Sandow legen davon Zeugnis ab:
Später, im 20. Jahrhundert war Bodybuilding lange Zeit ein bisschen underground und anrüchig (und wurde teilweise als Symptom von Homosexualität verstanden). In den 1970er Jahren gelang der Durchbruch in den Mainstream, vor allem wohl dank Arnold Schwarzenegger und der „Doku“ Pumping Iron. Auf einmal wollten viele aussehen wie der zukünftige Governator. Es war die Geburtsstunde des modernen kommerziellen Fitnessstudios, das uns heute noch an jeder Ecke begegnet.
Beim Bodybuilding geht es im Wettkampf um die Größe der Muskeln, sowie deren Symmetrie und Definition. Es geht nicht darum, wer am stärksten ist. Weder absolut (wer bewegt das meiste Gewicht) noch relativ (wer bewegt am meisten Gewicht bezogen auf sein Körpergewicht).
Entsprechend trainieren Bodybuilder anders, als andere Kraftsportler.
Exemplarisch sei hierfür das Isolationstraining genannt. Da der Bodybuilder ein Bildhauer am eigenen Körper ist, wird der Körper im Training in seine Bestandteile zerlegt: Es werden einzelne Muskeln trainiert (ein Beispiel wäre der allseits bekannte Bizepscurl), da man nur so an der Symmetrie arbeiten kann. Ob eine Übung sich in eine lebensnahe menschliche Bewegung übersetzen lässt, und auch das Zentrale Nervensystem oder die inter- bzw. intramuskuläre Koordination verbessert, ist dabei nicht kriegsentscheidend. Das fördert nicht unbedingt die Leistungsfähigkeit, sonst würden Bodybuilder andere Kraftsportarten dominieren. Tun sie nicht.
Es ist hier nicht das Ziel, die Leistungen von Bodybuildern zu schmälern. Dieser Sport erfordert unglaubliche Disziplin, Kompromisslosigkeit und Arbeitsmoral. Und Bodybuilder wie zB. Schwarzenegger oder Ronnie Coleman haben viel mit Ganzkörperübungen trainiert und waren wirklich stark. Es geht um die Unterscheidung zu Krafttraining im engeren Sinne.
Was ist also Krafttraining?
Und dabei ist die eigentliche Frage: Was ist Training?
Viele Menschen sagen, sie würden trainieren, sie wären beim Training gewesen – aber das ist nicht unbedingt korrekt. Entscheidend ist der Zielhorizont.
Wenn körperliche Aktivität ein Selbstzweck ist, man also bestimmte Übungen macht, um bestimmte Übungen zu machen und dadurch vielleicht zu schwitzen, außer Atem zu kommen, einen Muskelkater zu kriegen und sich gut zu fühlen, dann ist das … kein Training. Im englischen würde man von exercise sprechen. Auf deutsch würde ich gerne das schöne, alte Wort Ertüchtigung dafür zurückbringen. Für die Ertüchtigung ist es durchaus denkbar, jahrelang das gleiche zu tun: Dreimal die Woche dreißig Liegestützte, jetzt und in drei Jahren.
Es ist nichts falsches an Ertüchtigung. Für viele ist es alles, was sie brauchen. Runter vom Sofa, ein bisschen Bewegung, Kalorien verbrennen, schwitzen, gut fühlen.
Training hingegen ist ein zielgerichteter Prozess.
Training ist eine körperliche Aktivität, die ausgeführt wird, um ein langfristiges Leistungsziel zu erreichen. Training ist somit ein Prozess, der ein definiertes und messbares Ergebnis zu einem bestimmten Zeitpunkt erreichen muss. Zu diesem Zweck muss das Training geplant sein. Das erfordert verbindlich Zeit und die Bereitschaft, das Gefühl des Erfolgs in die Zukunft zu verschieben. Es geht nicht um den gefühlten Effekt der heutigen Trainingseinheit.
Trainieren kann man für vieles. Für einen Marathon, für eine höhere Trefferquote bei Strafstößen im Fußball. Oder für Kraft. Gemein ist allen Trainingsprozessen das Ziel einer spezifischen physischen Adaption. Also einer bestimmten Anpassung des Körpers.
Was ist Kraft?
Kraft ist die körperliche Fähigkeit eines Menschen, physikalische Kraft (F) gegen einen externen Widerstand aufzubringen. Diese Kraft ist etwa notwendig, um einen Gegenstand zu bewegen.
Du gebrauchst deine Kraft also permanent: Wenn du morgens aufstehst. Wenn du dich vom Boden abdrückst und dein Körpergewicht nach vorne bewegst (auch bekannt als gehen oder laufen). Wenn du ein Buch vom Boden aufhebst, oder deine Katze ins Regal stellst (oder andersrum?). Ganz offensichtlich benötigst du also auch Kraft bei jeder sportlichen Aktivität.
Krafttraining ist also ein geplanter Prozess, der die Fähigkeit (deines Muskel-Skelett-Systems und deines Nervensystems) Kraft (F) gegen einen Widerstand zu erzeugen messbar steigert.
Blablabla, ich will einfach nur fit sein, was interessiert mich das!?
Das ist der Kicker. Wenn wir uns die Bestandteile von Fitness ansehen, wird schnell klar, dass jeder von erhöhter Kraft profitieren kann. Egal ob als Läufer, Volleyballspieler, Kampfsportler oder als Mensch, der lediglich unfallfrei ein Möbel in den Keller schaffen und mit seinen Kindern spielen will.
Ausgewählte Bestandteile gängiger Definitionen von Fitness:
• Ausdauer
• Schnelligkeit
• Balance
Schauen wir mal genauer hin:
Ausdauer – in einer Tätigkeit ausdauernd zu sein, setzt zunächst voraus, überhaupt die Kraft zu haben, die nötige Arbeit (Kraft x Strecke) zu verrichten. Einfaches Beispiel: Rita die Radfahrerin schafft 40kg bei der Langhantelkniebeuge. Jeder Pedaltritt auf ihrem Rad kostet sie einen bestimmten Anteil ihrer maximalen Kraft. Sagen wir fiktiv 0,1%. Wenn Lisa durch Training ihre Maximalleistung in der Kniebeuge auf 80kg steigert, braucht jeder Pedaltritt prozentual nur noch halb so viel ihrer Maximalkraft (0,05%), da der Widerstand derselbe ist. Sie könnte nun bei gleicher Geschwindigkeit weiter fahren, oder die gleiche Strecke schneller zurücklegen.
Schnelligkeit – lange dachte man, Weltklasse Sprinter würden sich von Durchschnittssportlern vor allem in ihrer Schrittfrequenz unterscheiden. Tatsächlich ist die in beiden Gruppen aber sehr vergleichbar, so dass sie nicht den Unterschied in der Geschwindigkeit erklären kann. Tatsächlich ist Sprintgeschwindigkeit hauptsächlich abhängig von der Menge Kraft die während des Bodenkontaktes über den Fuß in den Boden übertragen werden kann. Es ist offensichtlich, dass eine Verbesserung der maximalen Krafterzeugung durch Krafttraining jemanden somit schneller macht – während ein gängiges Vorurteil lautet, dass starke Menschen mit viel Muskelmasse behäbig und lahmarschig wären. Schonmal ein Footballspiel gesehen?
Balance – ist die Fähigkeit, deinen Schwerpunkt (Massenmittelpunkt) über deiner Unterstützungsfläche zu halten. Beim beweglichen menschlichen Körper ändert sich der Schwerpunkt dauernd durch Bewegung von Armen, Beinen, Kopf und Rumpf. Da der Mensch sich im dreidimensionalen Raum bewegt, ist also eine permanente Stabilisation erforderlich, um nicht ständig umzukippen wie der sprichwörtliche Sack Reis. Ein sehr wichtiger Bestandteil der Fähigkeit, diese Stabilisationsarbeit zu verrichten, ist das Aufbringen der nötigen Kraft! Das bedeutet nicht, dass jemand mit einer 200kg Kniebeuge ohne weiteres Training den Grand Canyon auf einem Seil überqueren kann. Aber bleiben wir bei realistischen Bildern: Wir leben in einer alternden Gesellschaft. Der Alterssturz ist ein medizinisches Problem. Laut Wikipedia stürzen ein Drittel der Menschen über 65 mindestens einmal im Jahr. 20% der Gestürzten brauchen hinterher medizinische Hilfe. Häufige Ursache: Muskelatrophie (keine ausreichende Fähigkeit, Kraft zu erzeugen). Und Rollatoren sind einfach nicht so sexy…
Die guten Nachrichten?
Gerade als Anfänger kannst du sehr schnelle Fortschritte erzielen! Das ganze ist nicht zu kompliziert und dauert in der Woche nicht mehr als 2-3 Stunden. Die kannst du bestimmt irgendwo freischaufeln. Und : Krafttraining ist eine ausgezeichnete Methode, Körperfett abzubauen und deinem Wunschkörper näher zu kommen.
Worauf wartest du noch? Mach am besten heute noch den ersten Schritt und fang an – egal, ob du Verbindung mit einem Trainer aufnimmst, dir ein hervorragendes Buch (wie Starting Strength) zulegst, oder die Trainingszeiten in deinen Wochenplan integrierst. Wenn du bei irgendwas nicht weißt wie, schick uns gerne eine Nachricht.
Und schau gerne auch mal in diese Beiträge rein:
Sau stark – Die Grundübungen
Krafttraining zum Abnehmen
Der Start: Übungen lernen
Title photo courtesy of sgroi (Creative Commons)
Girl with barbell photo courtesy of Ron McKinney (Creative Commons)
Klokov Front Squat photo courtesy of Gregory Winter (Creative Commons)
Old man photo courtesy of Daria Diehl (Creative Commons)
Michelin photo courtesy of gningnin2 (Creative Commons)
#3 „GOMAD“-Ernährung ist zu extrem
GOMAD heißt wörtlich übersetzt „gallon of milk a day“. Dabei wird dazu geraten täglich viel zu essen und zusätzlich noch 4 Liter (= eine Gallone) Milch zu trinken. Sinngemäß wird es oft auch mit „friss so viel wie möglich“ in Verbindung gebracht, was natürlich sehr schnell zu sehr viel Fettdepots führt.
Was Ernährung betrifft, sollte man sich ohnehin nicht an Mark Rippetoe orientieren. Was das betrifft ist er sehr „rustikal“. Besser wäre eine durchdachte Ernährung, die ein gutes Makronährstoffprofil aufweist. Unter Umständen kann dein Fortschritt etwas darunter leiden, das heiß verlangsamt werden. Wem seine Optik aber wichtig ist, der wird mit diesem Kompromiss einverstanden sein. Auf der anderen Seite rät Rippetoe aber auch zu 6 Portionen Gemüse und Obst pro Tag. Seine Grundansichten sind nicht verkehrt, er empfiehlt sie nur ohne „Rechnerei“ von Makro- und Mikronährstoffen, was vielen Menschen missfällt. Praktisch ist er nicht „science“ (= wissenschaftlich) genug.
Es gibt auch böse Zungen, die behaupten „wenn Du kein GOMAD machst, machst Du auch nicht Starting Strength“. Das erachte ich als ziemlichen Blödsinn, da das Trainingsprogramm dennoch beibehalten wird und die Ernährungsphilosophie wieder ein anderes Thema ist.
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