
Veröffentlicht am 10.9.2023
Ich empfehle Anfängern (und auch so manchen Fortgeschrittenen) gern einen Ganzkörperplan mit 3 Trainingseinheiten die Woche als Trainingsprogramm. Heißt das, dass Menschen, die nur 2 Mal die Woche trainieren können, keine Muskeln aufbauen können? Nein. Fortgeschrittene Athleten trainieren oft 4 Mal oder mehr die Woche. Wenn Du nun an einem Punkt angelangt bist, an dem Du mehr Reize setzen musst, um leistungsfähiger zu werden und Muskeln aufzubauen und diese 4+ Trainingseinheiten pro Woche nicht einhalten kannst, wirst Du Dich also nicht weiterentwickeln? Nein.
Standardpläne bei Schmerzen und körperlichen Besonderheiten
„Standardpläne“ wie “Starting Strength” und vergleichbare Trainingsprogramme empfehle ich besonders gern. Das macht man, weil der vorgeschriebene Fortschritt (englisch: progress) leicht nachvollzogen werden kann, die Pläne an vielen verschiedenen Menschen getestet wurden und davon eine große Schnittmenge sehr gut mit dem Trainingsprogramm klappte.
Doch nicht immer ist das der einzige oder gar beste Weg, um den Körper leistungsfähiger zu machen und zu stärken. Viele Menschen haben eine schlechte Genetik, sind anatomisch benachteiligt oder haben mit Problemzonen (Schulterschmerzen, Schmerzen im unteren Rücken…) zu kämpfen. Ist es dann sinnvoll, einem Trainee einen Plan zu empfehlen, der 3 Mal die Woche Bankdrücken und Schulterdrücken vorsieht? Wenn man seine Schulter komplett zerstören möchte und seinen Ibuprofen-Verbrauch ins Unendliche steigern möchte, ist das ein super Ansatz!
Standardpläne funktionieren, wie schon erwähnt, sehr gut für eine Vielzahl von Menschen. Andere benötigen aber einen anderen Ansatz.
Limitierender Faktor „Zeit“
Einem Familienvater, der zu Hause eine Frau, 2 Kinder und einen Vollzeitjob hat, kann man nicht unbegrenzt viel Zeit abverlangen. Klar, als Coach (als Coach gelten auch die Erschaffer der Trainingsprogramme) kann man sagen: „Mach meinen Plan 3 Mal die Woche oder du machst ihn nicht richtig. Dann hast du keinen Erfolg.“ Aber ist das wirklich sinnvoll?
Oft mangelt es nicht an der Bereitschaft, etwas zu investieren (Zeit, Geld, Nerven), sondern an der tatsächlich verfügbaren Menge dieser Faktoren. Einem Burnout-Patienten empfiehlt man schließlich auch nicht, einen Nebenjob anzutreten, wenn er nicht genug Geld zur Verfügung hat.
Ein guter Trainingsplan muss in das Leben des Trainees passen und nicht umgekehrt. Es gibt immer Möglichkeiten, jemanden zu coachen, wenn dieser den Willen hat.
Verschiedene Ziele, verschiedene Ansätze
Momentan hat sich eine hervorragende Möglichkeit ergeben: Wir coachen ein Fußballteam. Das hat mehrere interessante Aspekte. Zum einen muss das Training so gestaltet werden, dass sich die Spieler während des Krafttrainings nicht verletzen, und zum anderen, dass sie positive Effekte mitnehmen. Ein Fußballtraining erfordert einen anderen Ansatz. Wenn die Beine bis zum Muskelversagen trainiert werden, können sie am nächsten Tag kaum 90 Minuten durchspielen – das ergibt nicht viel Sinn.
Die Zielsetzung der Fußballmannschaft (und des Fußballtrainers, der uns kontaktiert hat) lautete nicht, unbewegliche Muskelberge aus den Spielern zu machen, sondern ihre Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Das ist ein wichtiges Detail. Du musst die Ziele des Menschen beachten und Deine Herangehensweise darauf aufbauen.
Die durchschnittliche Person, die uns kontaktiert, möchte Fett abnehmen oder Muskeln aufbauen. Aber auch da gibt es feine Unterschiede. Der eine möchte so viel Muskelmasse wie möglich generieren, der andere kraftbetont trainieren und nur dezent Muskeln aufbauen, um auch im Anzug bei der Arbeit einen guten Eindruck zu hinterlassen. Wieder andere möchten sich einfach nur fit halten.
Ein „Starting Strength“-Programm ist nicht für Menschen geeignet, die 2 Mal die Woche Fußballtraining absolvieren müssen. Da kann man sich andere Mechanismen einfallen lassen und das Krafttraining anders gestalten. Das gilt für jede erdenkliche Sportart und jedes Ziel.
Krafttraining: das gewisse Etwas
Ich bin überzeugt, dass in jeder Sportart (ja, sogar bei Dart!) eine Leistungssteigerung möglich ist, wenn Du Krafttraining ergänzend einsetzt. Der durchschnittliche Mensch hat nicht zu viel, sondern zu wenig Muskeln, Koordination und Beweglichkeit. Auch das Gegenteil (zu viel Muskeln, Koordination und Beweglichkeit) muss beachtet werden.
Eine Trainingseinheit ist nie umsonst. Du bewirkst immer etwas, wenn Du Dein Muskelkorsett stimulierst. Das führt vielleicht nicht immer sofort zu Muskelaufbau, aber es verbessert Dein mentales und körperliches Wohlbefinden.
PS: Diesen Artikel habe ich John Sheaffer alias Johnny Pain zu verdanken, der in seinem Buch zu seinem Trainingsprogramm „GreySkull LP“ genau diese Umstände beschreibt und ebenfalls der Meinung ist, dass sich das Trainingsprogramm an den Trainee anpassen sollte.
Title photo „5/365“ by Anna Gutermuth (CC BY 2.0)