
Veröffentlicht am 10.9.2023
Wer hier bei Form Vor Gewicht schonmal vorbeigeschaut hat, hat vielleicht festgestellt, dass das Wort „Krafttraining“ häufiger fällt.
Denkst du bei Krafttraining sofort an:
- goldbehängte Discopumper aus dem Assi-Toaster?
- an dickbäuchige Harley Fahrer mit vielen Tattoos und zweifelhaften Connections?
- Mr. Olympia und anabole Steroide?
- stundenlange Isolationsübungen an Maschinen im Fitnessstudio?
- einen Sport, der so langweilig und dumm ist, dass er für niemanden geeignet ist, der schonmal ein Buch gelesen hat?
- die Frage, ob man das überhaupt Sport nennen kann? Die können ja nix außer Kraft!
Wenn du bei mindestens einer dieser Fragen nicken konntest, hast du vermutlich einen schlimmen Fall von Vorurteileritis.
Krafttraining ist nicht Bodybuilding
Dieser Satz ist richtig. „Bodybuilding ist (eine Form von) Krafttraining.“ Dieser Satz ist aber auch richtig. Verwirrend!
Es gibt mehrere Kraftsportarten. Bodybuilding ist eine davon. Andere wären Powerlifting (Kraftdreikampf), Olympisches Gewichtheben, Strongman, Kettlebellsport – bei diesen Sportarten geht es um das messbare Erbringen körperlicher Kraft. Ob man dehydriert und eingeölt besonders angeschwollen aussieht, ist hingegen kein Kriterium.
Krafttraining und Bodybuilding
Trotzdem verbinden (leider) die meisten Menschen Krafttraining ausschließlich mit Bodybuilding und den „Michelinmännchen“, die darin auf höchstem Niveau wetteifern.
Ursprünglich war Bodybuilding ein Gesundheitssport, der neben der Maximierung der Körperkraft auch eine ästhetische Formung des Körpers im Blick hatte – frühe Vertreter wie Eugen Sandow legen davon Zeugnis ab.
Später, im 20. Jahrhundert, war Bodybuilding lange Zeit etwas underground und anrüchig (teilweise als Symptom von Homosexualität verstanden). In den 1970er Jahren gelang der Durchbruch in den Mainstream, vor allem dank Arnold Schwarzenegger und der Dokumentation "Pumping Iron". Auf einmal wollten viele so aussehen wie der zukünftige Governator – die Geburtsstunde des modernen kommerziellen Fitnessstudios, das uns heute noch an jeder Ecke begegnet.
Beim Bodybuilding geht es im Wettkampf um die Größe der Muskeln sowie deren Symmetrie und Definition – es geht nicht darum, wer am stärksten ist, weder absolut noch relativ.
Unterschiedliches Training
Entsprechend trainieren Bodybuilder anders als andere Kraftsportler. Exemplarisch sei hier das Isolationstraining genannt: Der Bodybuilder zerlegt seinen Körper in seine Bestandteile und trainiert einzelne Muskeln (zum Beispiel den allseits bekannten Bizepscurl), um an der Symmetrie zu arbeiten. Ob sich eine Übung in eine lebensnahe Bewegung übersetzen lässt oder das Nervensystem sowie die intra- und intermuskuläre Koordination verbessert, spielt dabei eine untergeordnete Rolle – letztlich fördert dies nicht zwingend die Leistungsfähigkeit, sonst würden Bodybuilder andere Kraftsportarten dominieren.
Es geht dabei nicht darum, die Leistungen von Bodybuildern schmälern zu wollen. Dieser Sport erfordert unglaubliche Disziplin, Kompromisslosigkeit und Arbeitsmoral – Bodybuilder wie Schwarzenegger oder Ronnie Coleman haben trotz ihres Fokus auf Ganzkörperübungen enorme Kraft bewiesen. Der Unterschied liegt in der Definition von Krafttraining im engeren Sinne.
Was ist Krafttraining?
Und dabei stellt sich die eigentliche Frage: Was ist Training?
Viele Menschen sagen, sie würden trainieren oder waren beim Training – aber entscheidend ist der Zielhorizont. Wenn körperliche Aktivität ein Selbstzweck ist – man macht Übungen, schwitzt, kommt außer Atem, bekommt Muskelkater und fühlt sich gut – dann ist das exercise, auf Deutsch Ertüchtigung. Für Ertüchtigung ist es denkbar, über Jahre hinweg das Gleiche zu tun: Dreimal pro Woche dreißig Liegestütze, heute und in drei Jahren.
Es ist nichts Falsches an Ertüchtigung – für viele ist es alles, was sie brauchen: Runter vom Sofa, ein bisschen Bewegung, Kalorien verbrennen, schwitzen und sich gut fühlen.
Gezieltes Training
Training ist eine körperliche Aktivität, die darauf ausgerichtet ist, ein langfristiges Leistungsziel zu erreichen. Es handelt sich um einen Prozess mit einem definierten, messbaren Ergebnis zu einem bestimmten Zeitpunkt – geplant, zeitlich gebunden und mit der Bereitschaft, auf den Erfolg in der Zukunft zu setzen. Es geht nicht um den kurzfristigen Trainingseffekt.
Du kannst trainieren für einen Marathon, für eine höhere Trefferquote beim Strafstoß im Fußball oder für mehr Kraft – allen Trainingsprozessen ist gemein, dass sie eine spezifische physische Adaption anstreben.
Kraft verstehen
Kraft ist die körperliche Fähigkeit, physikalische Kraft (F) gegen einen externen Widerstand aufzubringen – etwa, um einen Gegenstand zu bewegen.
Du benutzt deine Kraft permanent: Wenn du morgens aufstehst, dich vom Boden abdrückst (beim Gehen oder Laufen) oder ein Buch aufhebst – und selbst wenn du deine Katze ins Regal stellst. Bei jeder sportlichen Aktivität spielt Kraft eine Rolle.
Krafttraining steigert deine Kraft
Blablabla, ich will einfach nur fit sein – was interessiert mich das!?
Das ist der Kicker: Wer sich die Bestandteile von Fitness ansieht, dem wird klar, dass jeder von erhöhter Kraft profitieren kann – egal ob als Läufer, Volleyballspieler, Kampfsportler oder als jemand, der einfach unfallfrei ein Möbel in den Keller schaffen und mit seinen Kindern spielen möchte.
Ausgewählte Bestandteile gängiger Fitnessdefinitionen:
- Ausdauer
- Schnelligkeit
- Balance
Schauen wir mal genauer hin:
Ausdauer – Ausdauer in einer Tätigkeit erfordert, dass du überhaupt die Kraft besitzt, die nötige Arbeit (Kraft x Strecke) zu verrichten. Beispiel: Rita, die Radfahrerin, schafft 40 kg bei der Langhantelkniebeuge. Jeder Pedaltritt kostet sie einen Anteil ihrer maximalen Kraft – fiktiv 0,1%. Wenn Lisa durch Training ihre Maximalleistung in der Kniebeuge auf 80 kg steigert, braucht jeder Pedaltritt nur noch 0,05% ihrer Maximalkraft, da der Widerstand gleich bleibt. So könnte sie bei gleicher Geschwindigkeit weiterfahren oder die gleiche Strecke schneller zurücklegen.
Schnelligkeit – Lange glaubte man, Weltklasse-Sprinter unterschieden sich vor allem in der Schrittfrequenz von Durchschnittssportlern. Tatsächlich ist diese vergleichbar, sodass sie den Unterschied in der Geschwindigkeit nicht erklären kann. Sprintgeschwindigkeit hängt hauptsächlich davon ab, wie viel Kraft während des Bodenkontakts in den Boden übertragen wird. Eine Verbesserung der maximalen Krafterzeugung durch Krafttraining macht dich also schneller – trotz des Vorurteils, dass starke Menschen mit viel Muskelmasse behäbig seien.
Balance – Das Halten deines Schwerpunkts über der Unterstützungsfläche ist essentiell. Da sich der Schwerpunkt bei Bewegungen der Arme, Beine, des Kopfes und Rumpfs ständig ändert, ist eine permanente Stabilisation nötig, um nicht umzukippen – wie ein Sack Reis. Zum Ausführen dieser Stabilisationsarbeit musst du Kraft aufbringen. Das heißt nicht, dass jemand mit einer 200-kg-Kniebeuge ohne weiteres Training den Grand Canyon auf einem Seil überqueren kann. Aber in unserer alternden Gesellschaft ist der Alterssturz ein ernstes Thema: Laut Wikipedia stürzen ein Drittel der über 65-Jährigen mindestens einmal im Jahr, und 20% der Gestürzten benötigen medizinische Hilfe – häufig aufgrund von Muskelatrophie. Und Rollatoren sind eben nicht so sexy.
Gute Nachrichten
Als Anfänger kannst du sehr schnelle Fortschritte erzielen – das Ganze ist nicht kompliziert und dauert in der Woche meist nicht mehr als 2–3 Stunden. Du findest bestimmt irgendwo Zeit. Krafttraining ist zudem eine ausgezeichnete Methode, um Körperfett abzubauen und deinem Wunschkörper näher zu kommen.
Worauf wartest du noch? Mach am besten heute den ersten Schritt und fang an – egal, ob du einen Trainer kontaktierst, dir ein hervorragendes Buch (wie Starting Strength) zulegst oder die Trainingszeiten in deinen Wochenplan integrierst. Wenn du bei irgendetwas unsicher bist, schick uns gern eine Nachricht.
Schau auch in diese Beiträge rein:
- Sau stark – Die Grundübungen
- Krafttraining zum Abnehmen
- Der Start: Übungen lernen
Title photo courtesy of sgroi (Creative Commons)
Girl with barbell photo courtesy of Ron McKinney (Creative Commons)
Klokov Front Squat photo courtesy of Gregory Winter (Creative Commons)
Old man photo courtesy of Daria Diehl (Creative Commons)
Michelin photo courtesy of gningnin2 (Creative Commons)
GOMAD-Ernährung
GOMAD heißt wörtlich „gallon of milk a day“. Dabei wird geraten, täglich sehr viel zu essen und zusätzlich 4 Liter (eine Gallone) Milch zu trinken. Sinngemäß wird es auch mit „friss so viel wie möglich“ in Verbindung gebracht – was schnell zu übermäßigen Fettdepots führen kann.
Was die Ernährung angeht, solltest du dich nicht an Mark Rippetoe orientieren – seine Ansichten sind rustikal. Besser ist eine durchdachte Ernährung mit einem guten Makronährstoffprofil. Dein Fortschritt könnte zwar etwas langsamer sein, aber wenn dir deine Optik wichtig ist, ist dieser Kompromiss akzeptabel. Rippetoe empfiehlt zudem 6 Portionen Gemüse und Obst täglich – seine Grundansichten sind nicht falsch, auch wenn seine wissenschaftliche Herangehensweise gelegentlich zu kurz kommt.
Es gibt auch Stimmen, die behaupten: Wenn du kein GOMAD machst, machst du auch nicht Starting Strength. Das erachte ich als ziemlichen Blödsinn, denn das Trainingsprogramm bleibt bestehen – die Ernährungsphilosophie ist eben ein anderes Thema.